Thema: Teufelskreis
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Alt 06.12.2011, 15:30   #6
Stimme der Zeit
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Hallo, Thomas,

Zitat:
Ich möchte dich zu diesem mutigen Experiment beglückwünschen, welches mir sehr gefällt. Die Form des Gedichts ist nicht nur Interessant, sondern erzeugt, passend zum Inhalt Spannung. Der wesentliche 'Dreh- und Angelpunkt' ist die mittlere Strophe. Die ersten beiden Strophen beschreiben einfach nur den Gedankenkreis zwischen Tag und Nacht, bzw. Hell und Dunkel. weiblicher Wechselreim, alles fließt natürlich dahin. Es könnte sorglos so weitergehen, wie alles bleibt, wenn die Sonne auf- und niedergeht. Doch in der dritten Strophe nimmt die Dunkelheit überhand. Die Zeilenenden werden männlich hart und die Paarreime, die obendrein unrein sind, erzeugen (wegen des Kontrasts zu den reinen Reimen der beiden ersten Strophen) unweigerlich Spannung. Und dann geschieht es genau in der Mitte der 3. Strophe, dass mit der Frage nach dem Sinn des Gedankenkreisens ('Was hilft..?') das Denken über das kreisende Denken beginnt. Dieses Abgleiten in eine andere Ebene ist verbunden mit einer Wertung. Dunkel und Hell stehen nicht mehr, wie in den beiden ersten Strophen, nebeneinander, sondern, das 'Leuchten' wird plötzlich zur 'Illusion' und die 'Dunkelheit' wird zum 'Spott und Hohn lachenden' Teufel. Die letzten beiden Strophen versuchen sich aus diesem tiefen Kreis des 'Wahnsinns', den der Volksmund treffend 'spinnen' nennt und den ich selbst ein wenig von Migräneanfällen her kenne, zu befreien. Ganz gelingt das nicht, aber eine Richtung wird angezeigt, die unreinen Reime bleiben, aber es werden in der letzten Strophe wieder weibliche Reime, die auf das Wort 'durchbrechen' zulaufen. Der Leser verlässt das Gedicht betroffen mit diesem Wort - 'durchbrechen'.
ich danke dir für deine Anerkennung. Ja, die dritte Strophe ist der "Dreh- und Angelpunkt", sie bezeichnet die Wende, obwohl es vorher nie "sorglos" zuging (aber ich verstehe, was du meinst), sondern es war eher ein "bedeutungsloser" Ablauf in einer "Tretmühle" (diesen Ausdruck "borge" ich mir kurz von dir, er ist sehr zutreffend).

Bezeichnend für dieses Gedicht ist auch, dass es hier kein LI gibt. Das hat seinen Grund, vorher - gab es nicht wirklich jemanden, sondern lediglich einen "funktionierenden Automaten". Hier ist es erforderlich, sich vorzustellen, dass das LI erst nach dem Durchbruch zu sich selbst findet und dadurch dann "zu Tage tritt".

Das Erkennen des Teufelskreises ermöglicht erst das Erkennen der "Gefangenschaft", des "Eingesperrtseins". Zuvor war das (indirekt vorhandene) LI nicht unbedingt unglücklich, aber auch nie froh, eher "abgestumpft", denn wo kein Schmerz ist, ist auch keine Freude. Der Wechsel von Tag und Nacht fand "einfach statt". Eine "Existenz, ohne wirklich zu leben".

Das Erkennen eines solchen Zustands ist zwangsläufig schmerzhaft, und kann durchaus verzweifeln lassen (man bedenke das Sprichwort: Das kann einen ja wahnsinnig machen! - Es ist also kein "Wahnsinn" im Sinne von "verrückt" gemeint). Das Schwerste ist das Akzeptieren, dass die Lösung des Problems nicht im Problem zu finden ist, sondern außerhalb. So ein "Durchbruch" bedeutet nicht, dass "physische" Gewalt angewendet wird, sondern es geht um die Psyche, um einen "geistigen Befreiungsschlag". Das alte Verhaltens- und Denkmuster muss "durchbrochen", schädliche Bindungen durchtrennt werden und es ist ein Neubeginn "außerhalb des alten Kreises" erforderlich. Das verlangt Mut (denn die "Konsequenzen" wirken bei Betrachtung - vor allem der Verlust der "materiellen Sicherheit", die zuvor gegeben war - eher "abschreckend"), aber es ist zu erreichen, wenn man einmal den Entschluss dazu gefasst hat.

Das Gedicht führt absichtlich nicht weiter, denn es beschreibt den "Weg" und lässt das "Ziel" lediglich "in Sicht" kommen. Das "Weiterdenken" bleibt dem Leser überlassen, denn das ist, wie Dana richtig anmerkte, etwas, das jeder deshalb alleine tun muss, weil es dafür keine "allgemeingültige Methode" gibt. Den "Durchbruch" kann jeder nur auf die eigene Art und Weise schaffen, denn auch die daraus resultierenden Konsequenzen (die nicht ausbleiben) sehen bei jedem Menschen anders aus.

Zitat:
Das Gedicht ruft Fragen wach. Bei mir z.B.: Gibt es nur den Ausweg der Stärke? Kann nicht auch eine gelassen Resignation in den Wechsel von Hell und Dunkel ein Ausweg sein? Ist der Ausgangspunkt, die negative Wertung als Illusion, notwendig? Vielleicht gehören Illusionen ja zum menschlichen Denken dazu und sich durchaus hilfreich für die Verarbeitung unserer Gedanken? Das gäbe der Poesie und der Kunst einen ganz anderen Stellenwert, als unser von Logik geprägtes Weltbild erlaubt.
In Hinsicht auf die Fantasie und die Poesie ist das, was du sagst, richtig. Aber hier geht es um etwas ganz anderes: Eine Person, die "gar nicht wirklich da ist", findet sich selbst und wagt den "Durchbruch" zum "Ich" und somit zur Freiheit. Hier ist Gelassenheit gar nicht möglich. Zuerst gibt es ein freudloses, leeres "Dasein", das kein Leben ist. Natürlich wird sich da Gedanken darüber gemacht, warum das so ist. Wer möchte nicht auch einmal "lebendig" sein? Diese Gedanken führen zum Bewusstwerden des Teufelskreises und der Gefangenschaft darin - und über die anfängliche Verzweiflung (die aus der empfundenen "Ausweglosigkeit" heraus entsteht) hinweg dann zu einem reinen Willensakt, einem "Aufbäumen" aller Kräfte, was dann den "Durchbruch" ermöglicht. Das hat nichts mit Logik zu tun, sondern mit "Jetzt oder Nie" und mit dem Sammeln "aller vorhandenen Kräfte". Diese innere Stärke besitzen wir alle, wir sind uns nur nicht darüber im Klaren, denn wir lernten ja "das Leben lang", dass wir (in bestimmten Bereichen) schwach sind, dass "Willenskraft" bei vielem nutzlos ist (oder sogar, dass es sie gar nicht gibt - wo ich radikal widerspreche!) und dass wir uns nicht ändern können - alles Unsinn, auch wenn es Menschen mit "großem Namen" sein mögen, die das behaupten.

Resignation ist nie ein Ausweg, lieber Thomas.

Zitat:
Abschließend noch eine klitzkleine Kritik. Das Hamsterrad ist mir ein zu niedliches Bild und nicht ganz treffen, da das Tierchen jederzeit aus seinem Spielzeug herausspringen kann. Ein in eine Drehmühle eingespannter Ochse kann das nicht. Das 'trotzdem' in der letzten Strophe klingt überflüssig, bzw. es steht auf etwas zu dünnen Beinen und müsste besser erklärt werden. Auch das 'absurd' passt meiner Meinung nach nicht gut für die 'Quadratur des Kreises', die war, bevor man die transzendenten Zahlen entdeckte, nicht möglich, aber 'absurd'? Hoffentlich war ich nicht zu pingelig.
Bitte lies die Stelle mit dem Hamster noch einmal, ich denke, du hast sie etwas falsch verstanden:

Zitat:
Im Laufrad wie ein Hamster eingesperrt,
In einem "Laufrad" eingesperrt, wie ein Hamster. Der "Hamster" dient lediglich als unterstützende Metapher aufgrund seines "Rennens" im Hamsterrad. Aber "Laufrad" ist hier durchaus im Sinne der "Tretmühle" gemeint, von der du schreibst - und man ist "eingesperrt". Ein Hamster ist ein kleines Tier - wir könnten ihn leicht in seinem Rad einsperren, nicht wahr? Die Metapher dient auch zur Veranschaulichung von einer Art "Hilflosigkeit". Hinzu kommt: Weiß der Hamster, dass er sich in einem Laufrad befindet - oder läuft er einfach nur? Von der menschlichen Perspektive aus betrachtet, wissen wir, dass er jederzeit herausspringen kann - weiß das der Hamster auch?

Was das "trotzdem" betrifft, ja, das ist nicht 100%ig gelungen. Ich denke darüber nach, und finde sicher etwas Passenderes, hier gebe ich dir recht. Allerdings möchte ich das "Absurd" gerne behalten, denn es bezieht sich nicht nur auf die Quadratur des Kreises (und, es ist absurd, dass, nachdem heute klar ist, dass sie mit Lineal und Zirkel nicht zu erreichen ist, immer und immer wieder Versuche unternommen werden, es dennoch zu schaffen - ich sehe es als absurd an, seine Kräfte auf Unmögliches zu auszurichten, anstatt auf das Mögliche), sondern in erster Linie und vor allem auf das (scheinbare) Paradoxon, dass sich Wege "verschließen" können ohne sich zuvor zu "öffnen". Daher auch die Formulierung: "Absurd, so wie die Quadratur des Kreises." Man muss sich darüber klar werden, dass sich bezüglich dieser "Quadratur per Hand" auch immer noch hartnäckig der Irrglaube hält, es gäbe für die "Lösung" einen "Preis" ...
Die Entdeckung der transzendentalen Zahlen (ich bin keine Mathematikerin und verstehe sie daher nicht wirklich, bin mir aber schon im Klaren, dass es sich hier z. B. um PI - π handelt) hat das natürlich mittlerweile gelöst. Aber es wird niemals mit Zirkel und Lineal funktionieren, ich habe mich "schlau" gemacht, das wurde bereits 1882 von Ferdinand von Lindemann bewiesen - sofern ich da richtig liege, nicht alle Informationen, die per Suchmaschine gefunden werden, sind immer richtig. Fazit: "Absurd" dient lediglich zum Herstellen eines "vergleichenden Bezugs" zwischen "Unmöglichkeiten".

Ich hoffe, ich konnte das ein wenig erklären, und nein, du bist überhaupt nicht "pingelig". Mit "trotzdem" befasse ich mich noch, mal sehen, was mir einfällt.

Jedenfalls bedanke ich mich herzlich für deinen Kommentar, denn mir ist klar, dass du das Gedicht sehr aufmerksam gelesen hast, was keine Selbstverständlichkeit ist, sondern etwas, über das ich mich immer besonders freue.

Liebe Grüße

Stimme
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Geändert von Stimme der Zeit (06.12.2011 um 15:41 Uhr) Grund: Eine kleine Ergänzung.
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