Guten Morgen, liebe Dana,
ich freue mich sehr, wieder ein Gedicht von dir zu lesen.
Zitat:
Verschleiert zeigt der Mond sich heute,
als wäre er darum beleidigt,
denn eigentlich sehn andre Leute
ihn hell und klar und fast geheiligt.
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Das ist interessant formuliert. Der Mond verschleiert sich, da er sich beleidigt zeigt -
weil er heute verschleiert ist. Ich mag solche "verschleierten" Aussagen sehr. Andere Leute sehen ihn "eigentlich" hell und klar und fast geheiligt. Hier bringt mich das Wort "eigentlich" zum Nachdenken. Eine Frage tatsächlicher Gegebenheiten oder der "Sichtweise"? Könnte das LI ihn ebenfalls so sehen? Ist es eine externe "Verschleierung" oder liegt diese im "Auge des Betrachters"? Und was "beleidigt - geheiligt" betrifft, das passt dazu. Strophe 1 gefällt mir sehr!
Zitat:
Es funkeln Sterne seinetwegen,
so kam's von Gin und Cebrail,
ich stehe da und bin verlegen,
der Himmel bietet mir nicht viel.
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Auch hier lese ich wieder "zwei" Deutungen heraus. Wobei ich in Strophe 2 eher zur "persönlichen Perspektive" neige, denn es gibt ja keinen Anlass, über die Gegebenheiten des Wetters "verlegen" zu sein. Wenn es aber das LI ist, das aus eigenen Gründen vom "metaphorischen Himmel" nicht viel "geboten" bekommt, dann zeigt sich ein tieferer Sinn. Die Verlegenheit deutet auch auf eine Art "Erwartungshaltung" des LI sich selbst gegenüber hin - das LI ist verlegen, denn "eigentlich" müsste/sollte/könnte er/sie doch den Himmel auch so sehen wie "gin und Cebrail" ... Für mich klingt hier auch ein ganz leises und verstecktes "Verwundern" heraus. Allerdings ist das LI völlig frei von Vorwürfen oder Zorn.
Zitat:
Da lob ich mir den Kerzenschein,
wie er mir diese Sicht erklärt;
verklärt schaut in die Scheibe 'rein
ein Licht, das leuchtend sich verzehrt.
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Strophe 3 ist sehr komplex, sie enthält noch mehr Bedeutungsnuancen als die beiden vorhergehenden Strophen. Wenn der "Kerzenschein diese Sicht erklärt", dann tendiere ich auch dazu, den Kerzenschein als reine Metapher zu sehen. Stünde dort z. B. "wie er mir meine Sicht
verklärt", dann wäre es etwas ganz anderes. Das steht aber nicht dort. Es ist also der Kerzenschein, der dem LI dessen "verschleierte" Sichtweise
erklärt. Das könnte im übertragenen Sinn bedeuten, dass "Kerzenschein" eine "kleine Flamme" darstellt, deren "kleines Licht" den Blick des LI auf sich zieht. Konzentriert sich das LI zu sehr auf die "kleinen Dinge"? Ein "Vergleich" wäre: Richtet sich der Blick nur auf die "Details", dann verliert sich die Fähigkeit, das "Ganze" zu sehen - die "Weite" wird nur noch "verschleiert/undeutlich" wahrgenommen.
Auch die beiden letzten Verse sind so formuliert. Nehme ich den Bedeutungszusammenhang "wörtlich", dann ist es das Licht, das in die Scheibe schaut, und sich selbst dabei zusieht, wie es sich allmählich selbst verzehrt. Dann symbolisiert die "Kerze" einen Menschen. Auch hier gilt: Stünde dort "verklärt schaut in die Scheibe 'rein,
zum Licht, das leuchtend sich verzehrt", ergäbe sich daraus ein ganz anderer Sinn. Dann wäre es eine Aufforderung an andere Betrachter, sich das Kerzenlicht einmal "näher" anzusehen, und nicht nur zum "Mond" aufzusehen. Beide Deutungen haben jedoch eine Gemeinsamkeit: Das Licht
leuchtet, während es sich selbst verzehrt.
Insgesamt ist das Gedicht ohne jeden Vorwurf und ohne jedes Beklagen über etwas, das (momentan?) so ist, wie es ist. Es vermittelt eine Sichtweise ohne Bitterkeit, es wirkt, als ob das LI "seinen Frieden damit gemacht hätte". Es bleibt dem Leser überlassen, sich vorzustellen, ob sich die "Sicht wieder klären wird".
Mir gefällt der übergehende Reim "erklärt - verklärt". Interessant sind auch die vielen im Gedicht enthaltenen Diphtongen "ei", "eu", "au" und "ie" ("ai" ist ein "Sonderfall"). Das ergibt einen besonderen "Klang". Ich weiß nicht, ob der Konsonant "t", der sich in allen vier Endreimen der Strophe 1 zeigt, absichtlich so gesetzt wurde - aber auch das ergibt einen "Klang". Und: Jedes Endreimwort enthält den Vokal "e". Sehr schön auch "verschleiert - verlegen - verklärt - verzehrt". Sehe ich mir Strophe 2 und 3 genauer an, dann entsteht eine Bindung von Strophe 2 zu Strophe 3 durch das "n", von Strophe 2 zu Strophe 1 durch ein "l" und von Strophe 3 wieder zu Strophe 1 durch das "t" - die jeweils in den Endreimen enthalten sind. Hier "verbinden" sich also die Strophen nicht nur inhaltlich, sondern auch durch die Struktur der Reime.
Zudem erzeugen auch die Kadenzen eine Wirkung. wwww / wmwm / mmmm. Der Inhalt wird von Strophe zu Strophe mehr auf das LI und auf das Leben bezogen und auch die Kadenzen werden "lebendiger".
Auch der Titel stimmt mich nachdenklich, denn das Wort "Schein" kann ebenfalls auf "zweierlei" Art gedeutet werden. Mondschein, Kerzenschein, Schein, schöner Schein, großer Schein, kleiner Schein - was ist "wichtiger", oder was ist "richtiger"?
Liebe Dana, das ist ein wirklich schönes Gedicht. Mich stört weder der eine unreine Reim noch die umgangssprachliche Formulierung in Strophe 3, denn alles passt gut zusammen - so, wie es ist.
Sehr gerne gelesen und kommentiert.
Liebe Grüße
Stimme