Thema: Weltwort
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Alt 12.12.2011, 11:38   #7
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asphaltwaldwesen
 
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da mache ich gerne mit, walther!

der text liest sich für mich ohne die formale einzwängung in die gedichtform nämlich viel schöner. lyrische prosa würde ich das dann nennen. auf jeden fall fließt es so in dieser setzung um einiges feiner. und die paar stellen, die innehalten lassen, gebiert in diesem fall der inhalt und die art, wie die aussage getroffen wird.

ich markiere in deiner "prosa"-form mal die reimwörter der ursprünglich gereimten und ins gedicht "gepressten" form. vielleicht zeigt sich ja, was mich stört, wenn ich meine "da hat jemand eine form gewählt und diese dann aber ignoriert":

Zitat:
Es sprach aus ferner Zeit sich mir ein Wort ins Ohr und wollte erst mal länger bleiben; es bat mich, dies und es hier zu beschreiben, und sagte sich dahin, als flög es fort und käm nie mehr zurück an jenen Ort des ersten Kennenlernens. Welches Treiben durchfließt den Wintermorgen: Augenreiben, ein müdes Dehnen, Weihnachtstage, Mord am In-sich-Ruhen, Zu-sich-Finden, und den Hauch von Nebelatem blasen Winde so schnell weg, wie die Phrasen meinen Mund verlassen. Ob ich’s jemals wiederfinde, das eine Wort, das Welten ganz macht, rund? Es drückte aus, was nicht nur ich empfinde.
genau genommen, würde man eben in der wahrnehmung der aussage nie so betonen, wie es die sonett-form zu erzwingen versucht. metrisch passt es zwar, aber das empfinden, das der inhalt eigentlich birgt, wird davon völlig zugebügelt. so geht es mir zumindest beim lesen.

ich markiere jetzt - weil ich das experiment wirklich spannend finde und selbst gespannt bin, wohin es führt - mal die worte oder stellen, die sich für mich in der "lyrischen prosa"fassung anbieten:

Zitat:
Es sprach aus ferner Zeit sich mir ein Wort ins Ohr und wollte erst mal länger bleiben; es bat mich, dies und es hier zu beschreiben, und sagte sich dahin, als flög es fort und käm nie mehr zurück an jenen Ort des ersten Kennenlernens. Welches Treiben durchfließt den Wintermorgen: Augenreiben, ein müdes Dehnen, Weihnachtstage, Mord am In-sich-Ruhen, Zu-sich-Finden, und den Hauch von Nebelatem blasen Winde so schnell weg, wie die Phrasen meinen Mund verlassen. Ob ich’s jemals wiederfinde, das eine Wort, das Welten ganz macht, rund? Es drückte aus, was nicht nur ich empfinde.

von der setzung her käme da also bei mir etwas ganz anderes heraus. der "reim" verschwindet und es treten wunderbare aussagen hervor. aber für mich tun sie das erst ohne das korsett des sonetts, das sich auch sperrig anfühlt, weil mans zwar - mit etwas plage - richtig sonett-betont lesen kann, danach aber nicht wirklich weiß, WAS man da las. und DAS ist, was ich hier - ganz persönlich begründet - bemängle. nicht umsonst sollten form und funktion mit dem "material" (=inhalt) eine einheit bilden, die aus dem ganzen mehr macht als die bloße summe der teile. hier empfinde ich die teile als zusammengezwungen und einander konkurierend.


Es sprach aus ferner Zeit sich mir ein Wort ins Ohr und wollte erst mal länger bleiben.
Es bat mich, dies und es hier zu beschreiben, und sagte sich dahin, als flög es fort und käm nie mehr zurück an jenen Ort des ersten Kennenlernens.

Welches Treiben durchfließt den Wintermorgen:
Augenreiben, ein müdes Dehnen,
Weihnachtstage,
Mord am In-sich-Ruhen, Zu-sich-Finden,
und den Hauch von Nebelatem blasen Winde so schnell weg, wie die Phrasen meinen Mund verlassen.

Ob ich’s jemals wiederfinde, das eine Wort, das Welten ganz macht, rund?
Es drückte aus, was nicht nur ich empfinde.


so jedenfalls meine lesart, in der form und inhalt zu einem "gefühl" verschmelzen. den leser "leiten", wie stimme es so richtig und wichtig formulierte.

ich gehe davon aus, dass du ganz anders empfinden musst. sonst würdest du es ja nicht so schreiben, wie du es tust. und dass du dir dabei viele überlegungen machst und kein wort zufällig da steht, wo es steht, ist mir bei all deinen texten klar.

ich habe nur - als leser, der hier ganz objektiv-subjektiv lyrik liest und nicht "einen walther" (denn alle deine texte sind ja nicht so) - hier den eindruck: da wurde sich verstiegen. zuviel können wollte zuviel und daran scheitert letztendlich, dass ein ganzes entsteht, das sich dem leser selbst-entfaltend darlegt.

nicht missverstehen: ich bin durchaus auch freund von kunst, die erst erarbeitet werden will. werke, die nicht alles offenlegen und auch zwischen den zeilen/strichen gelesen werden wollen, mag ich sehr. doch hier passiert "etwas" auf den zeilen. noch bevor man dazu käme, zwischen solche einzutauchen.


ich hoffe, ich konnte halbwegs klarmachen, was ich meine.
dass auch diese eine sehr persönliche sicht ist, ist, hoffe ich, selbstredend.


lieber gruß,


fee

Geändert von fee (12.12.2011 um 11:41 Uhr)
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