Thema: Verwirrung
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Alt 05.01.2012, 19:01   #6
Stimme der Zeit
Erfahrener Eiland-Dichter
 
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Liebe Chavi,

ich (ganz persönlich!) schätze Reime - oder Gedichte, wie z. B. Blankverse, die den Eindruck erwecken, als ob sie sich reimen, obwohl das gar nicht der Fall ist. Und ich bitte jetzt wirklich darum, meine Meinung nicht falsch aufzufassen.

Auch moderne Gedichte sind Gedichte, sie sind oft wirklich schön, und ich lese sie gerne.

Was ist es denn, das an den gereimten oder gereimt wirkenden Gedichten "dran" ist? Es lässt sich ganz einfach sagen: Musik.

Es ist deren "Klang". Dieser entsteht ja nicht nur im Falle von Endreimen. Ursprünglich wurden ja z. B. Stabreime verwendet. Aber auch Alliterationen haben eine "Klangwirkung" - was auch für Assonanzen zutrifft.

Ich kann nur für mich sprechen, aber ich höre sehr gerne Musik. Ich kann mich allerdings einfach nicht mit "dissonanten Klängen" anfreunden oder mit Musik, die völlig "unmelodiös" ist. Bei mir kommt meine "Liebe" zur klassischen Dichtkunst schlicht daher, dass für mich jedes metrische Gedicht eben auch immer ein - Lied ist.

Ein Gedicht, das die Ästhethik der Sprache an sich verwendet, also eine "lyrische Sprache spricht", das dazu mit Reimen, Alliterationen, Assonanzen, generell mit Vokalisation arbeitet (auch das hat eine Wirkung), das, wie in der Musik mit "Pausen" arbeitet, um dadurch einen Rhythmus zu erzeugen, der noch dazu mittels des Metrums einen "Takt" besitzt - das "klingt" eben für mich sehr schön.

Daher meine "Vorliebe" dafür - das ist einfach meine "musikalische Ader", ich liebe "schöne Musik". Für mich ist eben "schöne Musik" auch "melodiös". Beim Musikhören "tauche" ich völlig ab, ich höre Musik "ganz und gar", da kann ich gar nichts anderes "nebenher" machen, sondern schalte buchstäblich ab, schließe die Augen und höre einfach nur. Für mich ist das Genuss pur.

So ist es bei mir eben auch bei Gedichten. Ich liebe Gedichte, bei denen ich nicht nur "Bilder bzw. Assoziationen" sehe. Wenn dazu noch der Inhalt kommt, der mich auf der "Gefühlsebene" berührt, ist das schon viel mehr. Wunderbar ist es für mich dann, wenn ich es auch "höre". Für mich hat der Hexameter seinen ganz eigenen "Klang", ebenso wie z. B. ein vierhebiger Trochäus oder andere Versmaße. Jedes "klingt" für sich, und die Worte, Vokale und Konsonanten (auch Reime) sorgen dafür, dass jedes Gedicht für mich eine ganz individuell "eigene" Melodie enthält. Diese Gedichte "machen Musik", malen "Bilder" und erzeugen "Gefühle" bei mir - schlicht ausgedrückt.

Das ist es, was mich so fasziniert und dazu gebracht hat, mich so sehr der Lyrik und der Dichtkunst zu widmen.

Ich mag viele Arten moderner Dichtkunst, doch, ganz ungelogen und ernsthaft. Vieles gefällt mir sogar sehr gut.
Es ist bei mir nur so, dass ich da immer das Gefühl habe, als ob "etwas fehlt". Mir fehlt die "Musik" ...

Ganz persönlich gesagt ist es so, dass ich das "entbehre", um ein Werk wirklich "ganz" genießen zu können, in seiner "Gesamtheit".

Das hört sich jetzt sicher ziemlich pathetisch an. Aber ich kann nur sagen: Bei mir ist das so, das ist ein Teil von mir - das könnte ich sicher auch dann nicht "ändern", wenn ich wollte. Und ich "will" deshalb nicht - weil es für mich unglaublich schön ist.

Moderne Lyrik kann auch Melodien enthalten, natürlich! Diese Art der modernen Lyrik meine ich auch nicht.

Mir geht es um Aspekte wie beispielsweise "konkrete" oder "visuelle" Poesie. Sie berührt mich, sie spricht mich an - aber eben nur "zum Teil". Das meine ich wirklich in keinster Weise abwertend, bitte nicht missverstehen.

Bei mir ist es so, dass ich die Form der Lyrik am meisten liebe, der es gelingt, "alle meine Sinne" zu berühren. Diese Gedichte sehe, fühle und höre ich. Das ist für mich der "Zauber der Dichtkunst".

Und etwas stimmt mich ernsthaft traurig: Ist die "klassische" Art der Gedichte denn wirklich "überholt und von gestern"? Muss diese Abwertung denn sein? Darf die "alte" Art der Dichtung nicht weiterbestehen, weil sie "out" ist? Mir macht es zu schaffen, dass sie heutzutage so "abwertend" betrachtet wird. Ich lasse die moderne Lyrik ehrlich gelten - aber ist es zu viel, wenn ich mir wünsche, dass auch die "klassische" Dichtkunst weiterhin etwas gelten "darf" ...



Liebe Grüße

Stimme
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