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Alt 12.01.2012, 09:21   #2
Stimme der Zeit
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Hallo, Fridolin,

so kann's gehen. Eine feine "menschliche Charakterstudie", die ich hier lesen kann. Das "Racheobjekt" ist also eines von der besonders gemeinen Sorte - einfach vorher wegzusterben und so den "Rächer" frecherweise um seinen "Thriumph" zu bringen ...

Ich habe mich ohnehin schon oft im Leben gefragt, was da eigentlich "dran" ist. Jemand begeht mir gegenüber ein Unrecht. Also "schlage ich zurück". Was ich verstehe, sind "Affekthandlungen", wir sind ja alle Menschen. Und in der ersten Wut kann die Vernunft schon mal abhanden kommen. Aber abzuwarten, um einen Racheakt sorgfältig zu planen und sicherzustellen, dass er auch viel gemeiner ist, als das zuvor begangene Unrecht des anderen, das habe ich noch nie begriffen (nebenbei: Da hätte ich eine Weile zu tun, fraglich, ob ich dann das nächste Jahrzehnt noch etwas anderes tun könnte ... ).

Ich finde es, ehrlich gesagt, eigentlich primitiv. Und man stellt sich als Rächer ein Charakterzeugnis aus, von dem ich nicht möchte, dass es mir jemand ausstellt. Damit bin ich nicht besser als der, an dem ich mich rächen möchte, im Gegenteil, damit stehe ich noch auf einer Stufe "tiefer unten" als jener, der das Unrecht an mir beging. Das wusste schon Schiller, in seinem Wilhelm Tell sagt er es auch: Zitat - "Rache trägt keine Frucht! Sich selbst ist sie die fürchterliche Nahrung." Und auch der Volksmund bietet etwas Passendes: Rache ist ein zweischneidiges Schwert. Oder China: "Wer auf Rache aus ist, der grabe zwei Gräber." Letzteres ist besonders zutreffend.

Ich schmunzle genüsslich darüber, dass aus der Rache nichts wurde, und auch darüber, dass der Verstorbene noch "eins draufsetzt" und mit etwas kontert (buchstäblich aus dem Grab heraus), dem ein Rächer nun gar nichts entgegenzusetzen hat: Großmut. Der ist so effektiv, dass er noch aus dem Grab heraus mitten ins Schwarze trifft.

Erinnert mich auch irgendwie an Schopenhauers Ausführungen über die "Ritterehre", die er als "Akt der Barbarei" bezeichnete. Womit er absolut recht hat. Ein "Rächer" stellt sich selbst nur ein "moralisches Armutszeugnis" aus. "Auf zum Duell" oder so.
Leider begegnet man dem ständig, ich las darüber mal etwas, das mich, wie dein Gedicht, sehr belustigte: Ein Mann und eine Frau ließen sich scheiden. Das ging so weit, dass sie wie verrückt irgendwelche Waren bestellte (im Namen des Noch-Ehemannes natürlich), ihm so eine Menge Schulden verursachte und die "wildesten Geschichten" über ihn überall herumerzählte, was er doch für ein unglaublich schlechter Ehemann (und ausgesprochen mieser Charakter) gewesen sei - woraufhin er mit einer Axt (ja, wirklich) hinging, und die gesamte Wohnungseinrichtung zerhackte. Danach warf er den Schmuck der Frau in den Müll, zerriss und zerschnitt ihre Kleidung und auch ihre Schuhe. Ein "Rosenkrieg" also. Der Mann sagte später aus, sein Motiv sei es gewesen, sicherzustellen, dass der Frau "nichts blieb", denn er wisse ja nicht, was sie bei der Scheidung zugesprochen bekäme, - er wollte "sichergehen" - womit er natürlich auch alles "zerhackte", was er eventuell bekommen hätte. So viel zum Thema "Vernunft". Mir ist schon lange klar, dass "Homo sapiens" (der "einsichtsfähige/weise" Mensch ) zwar "vernunftbegabt" ist, aber im konkreten Fall nichts mit dieser "Begabung" anzufangen weiß, da er sie beim geringsten Anlass aus dem Fenster zu werfen pflegt. Was tatsächlich meiner Auffassung von Ehre querliegt, da diese eine ganz andere ist.

Die Conclusio im Gedicht ist wirklich sehr gut gelungen, meiner Meinung nach. Ja, es ist davon auszugehen, dass der "Rachegewillte" sich prompt für einen ausgesprochen edelmütigen Menschen hält und sich davon sicher gründlich selbst überzeugt. Was an seinem Charakter nichts ändert, aber ich denke, dass es im tatsächlich gegebenen Fall genauso ablaufen würde. Ja, der Edelmütige wird sicher auch noch hingehen, seinem verstorbenen Kontrahenten so manche Träne hinterherweinen und allgemein verkünden, um was für einen guten Menschen es sich doch gehandelt habe ...

Schön lustig-ironisch-bissig und treffend geschrieben, Fridolin, gefällt mir sehr gut!

Formal finde ich den vierhebigen Jambus gut passend, und der Paarreim ist hier schon richtig, das unterstützt sowohl die "humorvolle Note" als auch die "Aussage". Nur bei einem Vers habe ich Schwierigkeiten, dem Jambus zu folgen, da für mich der Versbeginn eindeutig trochäisch ist:

Zitat:
flucht: Was der Hundsfott sich erlaubt!
Es gibt zwar Verse, wo es ähnlich ist, mir aber leicht fällt, sie trotzdem mit Auftakt zu lesen. Hier liegt es meines Erachtens nach am Doppelpunkt, der mich unwillkürlich das "flucht" besonders betonen lässt. Allerdings merke ich es nur an, denn ich wüsste keine Alternative, außer, den Vers komplett zu ändern - und "Hundsfott" brachte mich zum Kichern. Daher sage ich es nur und meine, dass der Vers ruhig trotzdem so stehen bleiben soll. Der "Inhalt" ist es sozusagen "wert".

Mit Genuss und Amüsement sehr gerne gelesen und kommentiert.

Liebe Grüße

Stimme
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