Thema: Kız kulesi
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Alt 03.04.2012, 09:46   #5
Thomas
Erfahrener Eiland-Dichter
 
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Liebe fee,

es ist gar nicht einfach auf deine Kritik zu antworten, weil es ja stimmt, was du sagst. Am einfachsten ist das technische Problem mit der Tonbeugung bei 'nachspringen', die ist mir bewusst. Sie ist nicht Absicht, aber ich habe sie nicht wegbekommen. Es muss deutlich werden, dass das Mädchen nicht einfach nur Liebeskummer hat, sondern zu ihrem toten Geliebte möchte, was durch die Zurückweisung in der Familie verstärkt wird. Ein anderes technisches Problem ist das Wort 'aufgehangen', das passt zwar ins Metrum, aber ich bin mit dem Wort nicht ganz glücklich.

Was soll ich nun auf deinen Vorwurf des Klischeehaften sagen? Eigentlich will ich genau das nicht, und das mit den Schlägen des Vaters habe ich sogar aus Verhältnissen in Deutschland genommen. Es leben noch nicht wenige Frauen, die von ihren Vätern geschlagen wurden, weil sie es gewagt hatten, sich zu schminken, oder weil sie sich mit dem Freund getroffen haben und nachts nicht rechtzeitig nachhause kamen. An diese archaischen zustände bei uns habe ich gedacht. Das war natürlich vor den 68ern, aber so ewig lange ist das noch nicht her, jedenfalls nicht, bezogen aus das Zeitmaß der Abläufe in Kulturen. Und auch damals haben die Väter in großer Hilflosigkeit versucht, ihre Töchter zu bewahren, genau wie der Sultan, der seine Tochter im Kız kulesi einsperrte, um sie vor dem Tod durch Gift zu bewahren, und nicht verhindern konnte, dass sie von einer Schlagen gebissen wurde und starb.

Das Tragische ist doch, dass eine gesellschaftliche Norm, wie eine Naturgewalt (z.B. ein Berg für den Jüngling, der seiner Geliebten Blumen holt) wirkt. Eine althergebrachte Norm, die eigentlich schützen sollte, aber in einer Zeit, in der sich die Welt verändert hat, wird zerstörerisch. Im Grunde habe ich das Gedicht für Türken, die in Deutschland leben, geschrieben.

Auch deine Kritik an dem 'hin und her' ist berechtigt, und wenn es ein reines 'Erzählgedicht' wäre, dann wäre das auch sehr falsch. Es ist aber eigentlich ein Lied, in dem mehrerer Ebenen verwoben sind.

Das schreibe ich jetzt nicht als Antwort oder gar Widerlegung deiner Argumente, sondern als Erklärung. Eine Erklärung sollte eigentlich nicht nötig sein, deshalb muss ich mir noch einige ernsthafte Gedanken machen. Vielen Dank für die Anregung.

Liebe Grüße
Thomas
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