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Alt 18.12.2012, 11:25   #2
Thomas
Erfahrener Eiland-Dichter
 
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Registriert seit: 24.04.2011
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Hallo Christian,

da hast du dich nun in ein Forum gewagt, in dem viele "alte Knochen" sind, die sich viele Jahre lang mit Gedichten befasst haben. Respekt! Wenn ich mich versuche zu erinnern, was ich mit 14 bis 17 gedichtet habe, da können sich deine Werke schon sehen lassen. Aber, wie du es ja selber siehst, sind sie nur der Anfang von etwas Großem, das noch kommen wird. Ich habe in "LyrikChat" versucht auszudrücken, was mich damals geritten hat und wie ich es rückblickend sehe, vielleicht kann es dir Anregungen geben.

Nun ein paar Worte zum "Ausweg aus der Einsamkeit".

Das Wesentliche und Erste der Poesie ist meiner Meinung nach die Wahrhaftigkeit er Gefühle. Der Text trifft sehr gut eine Gefühlslage, die junge Menschen haben, insbesondere wenn sie sensible genug sind, die Oberflächlichkeit der meisten Gleichalterigen zu durchschauen (die Alten sind sowieso uninteressant) und deswegen niemanden finden, der sie wirklich versteht.

Der zweitwichtigste Punkt ist, ob die verwendeten poetischen Bilder (und ihre Abfolge) die Einbildungskraft des Leser wirkungsvoll und richtig anregen: Auch hierin ist der Text gut. Der Weg aus dem belanglosen Trubel, der verdeckte Himmel und die leer Wohnung...

Drittes muss die Form diese Entwicklung zumindest unterstützen, besser noch befördern. Das ist meiner Meinung nach leider gar nicht der Fall. Im Gegenteil, sie stört eher. Wenn man den Text einfach als Prosaerzählung liest, scheint er mir sogar besser zu sein. Etwas so:

Ausweg aus der Einsamkeit

Ich philosophiere in der kühlen Laube, die warme Brise schaukelt die Weinreben hin und her. Ich nippe genüsslich am Wein. Mein Geist wird bei jedem Schluck klarer, mein Körper wird langsam und schwer. Abendstimmung liegt über dem Dorf. Dumpfes Gelächter hier und dort. Wieder versinke ich im Wein, wieder bin ich einsam und allein, wieder bin ich traurig und fort.

Unter Straßenlaternen warten die Dirnen auf Männer jeglicher Art, auf blade, schmechtate, faule auf Graf und Bergkamerad. Ich verlasse das nächtliche Treiben und ziehe von Dannen. Ach, ich gehe heim, keiner wird auf mich warten. Ich werde immer einsam sein. Hinauf sehe ich und greife nach den Sternen, die so klar am Himmel stehen. Nun da meine Hand erhoben ist, Ist keiner mehr zu sehn. Trübe erscheint mir die Zukunft, kein Hoffnungsschimmer weit und breit.

Ein Stielleben ist meine Wohnung, komm wir sollten gehen, komm denn es wird Zeit. Ich wandle durch das finstere Zimmer. Die flatternden Vorhänge schiebe ich an mir vorbei, gehe weiter zum Balkon, betrachte das letzte Mal den Abendhimmel, dann falle ich und bin endlich frei. Mein Mantel wird weggezerrt. Eine heftige Böe treibt ihn davon, wie ein Wink des Schicksals als solle ich endlich verschwinden, trifft mich das fahle Mondlicht.

Der Tod, er wartet schon. Blut strömt aus all meinen Wunden, doch stark genug ist mein Geist. Ein Film voll schöner Momente. Kein gebrochener Mann, so einsam und verwaist. Ein letzter Schauer durchläuft meinen hageren Körper, seinen Hauch im Genick fühle ich schon, doch mich erschauert nicht sein Anblick, auch nicht sein Grinsen wie zum Hohn. Ich verschwinde in den dunklen Fluten. Meine Seele ist sein Lohn.




Und schließlich ist da ein vierter wesentlicher Punkt, den meiner Meinung nach gute Poesie realisieren muss. Es muss eine innere Spannung, einen Kontrast, der eine Entwicklung ermöglicht, vorhanden sein. Das ist bei dem Text nicht der Fall, er ist sozusagen zu linear. Um zu erklären, was ich meine, kannst du dir ja den Song "Wonderful Life" von Hurts anhören, den ich poetisch für sehr gut halte. Hier entsteht die Spannung aus den Extremen Selbstmord und Liebe. Die Form des Liedes lässt dem Hörer alle Entwicklungsmöglichkeiten offen.

Hoffentlich kannst du etas mit meinen Bemerkungen anfangen.

Liebe Grüße
Thomas

Geändert von Thomas (18.12.2012 um 11:38 Uhr)
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