Thema: Mein Dieb
Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt 30.01.2013, 18:57   #2
Falderwald
Lyrische Emotion
 
Benutzerbild von Falderwald
 
Registriert seit: 07.02.2009
Ort: Inselstadt Ratzeburg
Beiträge: 9.910
Standard

Servus Erich,

ein sehr interessanter Text, der mich jetzt aber ein wenig in Konflikt mit meiner Weltanschauung (und auch mit der von dir angenommen) bringt.
Denn immer wenn mir in letzter Zeit der Begriff "Seele" begegnet, schrillen bei mir die Alarmglocken, weil ich mich strikt weigere, die Gesamtheit eines lebenden Wesens in mehrere Teile zu splitten.

Wohl unterscheide ich zwischen Physis und Psyche, wohingegen ich diesen beiden Begriffen aber lediglich einen Zustand zubilligen kann, nämlich den äußeren, sichtbaren, die Physis und den inneren, unsichtbaren, die Psyche oder den Charakter betreffend, also dort wo die Motive für die Handlungen entstehen.
Im Menschen ist dies durch den vorhandenen Intellekt relativ gut ausgebildet, da scheint eine klare Trennlinie zu sein, aber wir können es drehen und wenden, wie wir wollen, der eine Zustand könnte gänzlich ohne den anderen nicht existieren.

Beispiel: Nimm einen völlig psychisch gestörten Menschen, also den Extremfall eines sogenannten "Schwachsinnigen". Physisch ist er völlig normal, doch er ist nicht in der Lage, irgendeine für uns normale Tätigkeit auszüben. Er spricht nicht, er reagiert nicht, wenn man ihn anspricht usw. Er ist gerade noch in der Lage, seine körperlichen Bedürfnisse zu befriedigen, um diesen am Leben zu erhalten.
Der ist näher am Tier, als der Delphin, der einen menschlichen Taucher um Hilfe bittet, weil sich eine Angelschnur um seine Brustflosse verwickelt hatte, was ihn stark einschränkte.
Doch wir sehen den "Schwachsinnigen" immer noch als Menschen an, im Gegensatz zu diesem Delphin, weil er eben aussieht wie ein Mensch.

Umgekehrt ein schecklich entstellter physischer Zustand, ein Körper, der kaum noch an einen Menschen erinnert (z.B. "Elefantenkrankheit" im Endstadium"), aber noch in der Lage ist, die Lebensfunktionen aufrecht zu erhalten.
Solange dieser sich irgendwie verständlich machen kann, erfährt man seine innerliche Menschlichkeit, weil er handelt und kommuniziert wie ein Mensch.

Nur wenn Physis und Psyche in einem schwer zu definierenden Gleichgewicht zueinander stehen, kann man von einem artgerechten Menschen sprechen, bei dem alles, ohne Berücksichtigung irgendwelcher gesellschaftlichen Zwänge oder besonderer Fähigkeiten, normal ist.

Durch die verschiedenen Zusammensetzungen aller vorhandenen Möglichkeiten, unterscheiden sich auch die Bedürfnisse und die Motive dieser Individuen, womit wir endgültig mitten in deinem Gedicht angelangt wären, weil es ja hier um einen Dieb geht, der dem Protagonisten eine bestimmte Lebensqualität zu stehlen scheint.

Der Text beginnt: "Und wieder geht mir Licht verloren auf meiner Seele schlankem Pfad...".
Wenn etwas verloren geht, muss es vorher vorhanden gewesen sein, sich also im Besitz des Protagonisten befunden haben.
Der schlanke Pfad aber führt weiter und so muss der Wille sich zwangsläufig aus der Dunkelheit erheben, um Tat zu werden.

Dieser in Finsternis geborene und zur Tat gewordene Wille hat zur Folge, daß sich die Dunkelheit nun noch vergrößert. Die Umwelt wird zu einem Spielplatz, auf dem sich der Protagonist nur dessen bedient, was ihm das Leben weitestgehend leicht und bequem macht, aber auch möglichst viele Risiken ausschließt.

Schließlich aber muss er erkennen, daß er sich lediglich in seinem eigenen Schatten befindet und sich um das Licht, aus dem sein eigentliches Ich diesen Schatten bildet, selbst bringt, weil er nicht aus aus diesem Schattenbild herauszutreten wagt.
Er will geliebt werden, aber ist nicht in der Lage, die Liebe in diesem Zustand zu erwiedern.

Und ein Nehmen ohne ein Geben kann auf die Dauer keine Befriedigung bringen.

Jetzt fragt sich nur, aus welchem Grunde ihm wieder Licht verloren gegangen ist?
Es scheint eine Angst zwischen den Zeilen vorhanden zu sein, dieses Licht festzuhalten und sich daran zu gewöhnen.
Eine Angst, es dann wieder zu verlieren, so daß es sicherer ist, im Schatten zu bleiben.

Aber ist es das wirklich wert?
Ist dieser dunkle, sichere Weg, der nicht alles erkennen und erfahren lässt es wirklich wert, sich nicht dem Licht stellen zu wollen, nur weil die Möglichkeit besteht, es einmal wieder verlieren zu können?
Das Licht ist genau so real wie die Dunkelheit und es ist ganz normal, daß sich beides im Leben abwechselt.

Beide sind erfahrbar und ohne einander gar nicht denkbar, denn eines könnte ohne das andere nicht existieren, sie bedingen einander.
Warum sollte man ein solches Gut freiwillig hergeben wollen?
Und wer lässt sich schon gerne beklauen - und dann noch von sich selbst?


Auf jeden Fall ist das ein sehr interessanter und nachdenklicher Text, mit dem ich mich gerne ausführlich auseinandergesetzt habe.


Gerne gelesen und kommentiert...


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald
__________________


Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine)



Falderwald ist offline   Mit Zitat antworten