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Alt 29.05.2013, 10:30   #1
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Registriert seit: 18.02.2009
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Standard Eine Forengeschichte

Es war einmal ein kleiner Wicht,
recht unbedarft von Wesen
und auch kein großes Geisteslicht,
der wollt Gedichte lesen.

Er tat es auch, und wie's gerät,
begann er auch zu schreiben.
So saß er da von früh bis spät,
die hohe Kunst zu treiben,

in Reime der Gedanken Gang
gar wonniglich zu setzen,
und war ihm dabei gar nicht bang,
die Sprache zu verletzen.

Denn leider war er bildungsfern
und ließ sein Werk missraten
in Form und Schreibung. Wenig gern
las man die Übeltaten!

Da dachte er bei sich gar schlau:
Ich will's "auf lustig" machen!
Ist meine Lyrik ein Verhau,
die Werke bloß zum Lachen,

so tu ich so, als wärn sie doch
mit Absicht Persiflagen!
Ich finde sicher Dumme noch,
die schreiben mir Hommagen!

Gesagt, getan! So stellte er
ironisch dar sein Schaffen,
und dass es so geschrieben wär,
um all den eitlen Affen,

die sich dem schönen Worte weihn,
mit Ironie zu sagen,
dass durchaus Leute fähig sein,
ihr Tun zu hinterfragen.

Es ging auch eine Weile gut -
er heimste Ovationen!
Die Neidischen in ihrer Wut,
die bloß Gedichte klonen

und wissen, dass im Grunde sie
das Schöne nicht bemeistern,
die konnten lautstark sich - und wie -
für sein Gekrächz begeistern!

Doch mählich sah der Dümmste ein:
Er konnte es nicht besser!
Schrieb beinah keinen reinen Reim,
der Kommatavergesser!

Die Schreibung war bei ihm nie "Recht-",
und Fälle nach Belieben.
Man merkte, er war einfach schlecht,
sein Ruf war übertrieben.

Und man zerriss ihn in der Luft
und ließ ihn kalt links liegen.
Er machte seinem Ärger Luft
mit trolligen Intrigen:

Er gab sich nun als Kritikus
und aller Lyrik Richter,
warf frech mit seinem derben Stuss
nach jedem guten Dichter.

Zuletzt hat man ihn fortgejagt,
und bald war er vergessen.
Womit er so die Kunst geplagt -
gefrühstückt und gegessen!

Kein Ruhm für ihn im Ehrenkreis
der ewig großen Namen,
nur einen knappen Platzverweis
in möglichst schlichtem Rahmen.

So hört zum Ende die Moral
und nehmt sie euch zu Herzen:
Es soll der Schreiber allzumal
mit Lyrik niemals scherzen!
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen.
Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen!
Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind.
Dummheit und Demut befreunden sich selten.

Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.

Geändert von Erich Kykal (29.05.2013 um 18:52 Uhr)
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