Thema: Warten
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Alt 19.03.2014, 19:05   #5
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Hi, Chavi!

Ein angenehm lyrisches Gedicht mit gehobener Sprache, das ich gerne gelesen habe.

Auf ein paar Details möchte ich aufmerksam machen. Entscheide selbst, wie zutreffend meine Sicht der Dinge jeweils ist:

Warten auf den frühen Morgen,
wenn die Nacht so finster ist,
auf die all bereiten Sorgen,
Streit und Kummer, Partnerzwist.

In Z3 kommt mir die Position des "all" etwas seltsam vor. Dort sollte es bestenfalls mit dem Folgewort zusammengeschrieben stehen: "allbereiten". Oder will es die NR anders? Wenn ja, eine absolute Verschlimmbesserung!

Was mich in dieser Str. aber wirklich aus der so schön generierten lyrischen Stimmung geworfen hat, ist das letzte Wort: "Partnerzwist". Obwohl du statt "Streit" die gehobene Variante "Zwist" wähltest, erscheint mir der Begriff in etwa so lyrisch wie "Partnervermittlung" oder "Eheberatung". Er wirkt zu "modern" für diese Art elaborierter Sprache, sticht unangenehm heraus, zumindest für mein Ohr.

Warten auf die helle Sonne,
wenn der Himmel trübe ist,
auf die Stunden voller Wonne,
nennt man dich auch Utopist.


Dasselbe hier: Eine hochlyrisch formulierte Strophe, und am Ende ein fremdsprachlicher Fachterminus wie aus einer trockenen Vorlesung über Politikwissenschaft oder so! "Utopist" passt einfach nicht in diese Art Lyrik, das reißt den Leser aus dem Duktus.

Warten auf den kühlen Regen,
der die Welt von Staub befreit,
wenn auf allen diesen Wegen
Bitterkeit nach Hilfe schreit.


Hier erscheint die Verwendung des "wenn" eingangs von Z3 seltsam. Wäre da ein "da" oder "wo" nicht passender? Worauf bezieht sich das "diesen" vor "Wegen"? Wäre "ihren Wegen", also jenen der Welt aus Z2, nicht nachvollziehbarer?

Warten auf die Sommerrose
die in aller Pracht erblüht,
auf die lila Herbstzeitlose,
die den Winter nach sich zieht.


Komma am Ende von Z1.
Alternative für Z4: "die den Winter kommen sieht." Deine Version impliziert, dass der Winter nur wegen der Herbstzeitlose folgt, und soviel wollen wir dem armen Blümchen denn doch nicht zutrauen!

Warten auf ein liebes Wort,
das den Tag erträglich macht,
träumen hin zum Zufluchtsort,
warten auf den Schlaf bei Nacht.


Hier bricht der bisherige Rhythmus der Kadenzen. S1-4 waren wmwm, diese nun hat durchgehend männliche Kadenzen.

Warten, dass die Tage gehen,
auf das tiefe Abendrot.
Scheint das Leben stillzustehen -
warten auf den nahen Tod...


Die letzte Strophe folgt wieder dem alten Kadenzenwechsel.


Wie gesagt: Ein insgesamt sehr gelungenes, lyrisches Werk mit weich fließender, melodischer Sprache und wunderbaren Bildern - bis auf die angesprochenen kleinen aber gemeinen Details, die ich der Gesamtwirkung zuliebe an deiner Stelle unbedingt nochmal überdenken würde.

Sehr gern gelesen!

LG, eKy
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Geändert von Erich Kykal (19.03.2014 um 19:08 Uhr)
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