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Alt 18.04.2014, 11:18   #4
Falderwald
Lyrische Emotion
 
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Hallo Walther,

ich muss Fridolin bezüglich seiner Ausführungen zu Daktylus und Amphibrachys zustimmen.

Die "landläufige" Meinung geht tatsächlich nur von vier Versfüßen (Jambus, Trochäus, Anapäst und Daktylus) aus, ist jedoch nicht richtig, denn es gibt tatsächlich noch einige mehr, wobei nicht alle, z. B. der Spondeus, in der deutschen Sprache umsetzbar sind.

Der Amphibrachys ist quasi eine Mischform aus Anapäst und Daktylus, eigentlich sogar eine logische Konsequenz:

XxxXxxX(x) (Dakt.)
xxXxxX(x) (Anap.)
xXxxXxxX(x) (Amph.)

Sehr schön ist das hier dargestellt.

Viel interessanter aber in diesem Text sind die durchgängigen Binnenreime, die sich dem Reimschema des Sonetts anpassen.

Zuerst dachte ich, was soll diese willkürliche Großschreibung in den Versmitten, bis ich das System dahinter erkannte.
Aber ist es wirklich notwendig, in einem Text, der ohne Interpunktion und ansonsten durchgängiger Kleinschreibung bis auf die Zeilenanfänge verfasst wurde, an diesen Stellen so zu verfahren?
Es wäre doch schade, wenn der Eindruck entstünde, dass sich die Wirkung der Binnenreimkonstruktion beim "unbedarften" Leser nur auf diese Art und Weise entfalten könne.

Davon einmal abgesehen, kann ich solchen Formen, die sich weder an Groß- noch an Kleinschreibung orientieren, jegliche Interpunktion vermissen lassen und dann noch konservativ an den großgeschriebenen Zeilenanfängen festhalten, im Allgemeinen nichts abgewinnen, weil das in meinen Augen höchst inkonsequent ist. Das betrifft aber lediglich die formalen Dinge und hat mit dem Inhalt nichts zu tun (Auch wenn Stefan George bis auf die Zeilenanfänge zumeist alles klein schrieb. Aber er hat zumindest interpunktiert).
Wenn ein Text ohne solche Extravaganzen nicht auskommen kann, dann hat er m. M. n. inhaltlich nicht genügend Ausdruckskraft.

Das empfinde ich auch im vorliegenden Fall so.
Viele Dinge sind hier dem (Binnen)Reim geschuldet und ergeben m. E. keinen rechten Sinn, bzw. müssen durch die fehlende Interpunktion erst mühsam erarbeitet werden.

Zudem wirkt der Text sehr aufzählend:

die Worte
die Zeiten
die Stimme
die hell überquellen
die heilen
die einsamen Rufer
die Welten erretten
die Ufer
die Ketten
die Fäden
die schnellten
die leisen Gesänge
die gleich wieder springen
die Herzen
den einen
der machte
dieser Sorte

usw...

Das wirkt in nur 14 Zeilen monoton und langweilig und dann noch im "leiernden" Rhythmus des Amphibrachys verfasst.

Fazit:

Ein zwar interessantes Experiment, welches durchaus bezüglich seiner Binnenreimstruktur als gelungen zu betrachten ist, mehr aber auch nicht und ganz bestimmt nicht das beste Gedicht aus deiner Feder.


Gerne gelesen und kommentiert...


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald
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Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine)



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