Moin Claudi,
immer wieder bin ich um deinen Text herum geschlichen wie die sprichwörtliche Katze um den heißen Brei.
Ich hatte ihn, ehrlich gesagt, nicht verstanden.
Da es sich hier aber nicht um eine Ballade oder eine Ode usw. handelt und ich auch keine rein fiktive Handlung darin erkennen kann, musste ich mich, im Gegensatz zu meinen sonstigen Gewohnheiten, nach dem dahinter stehenden Motiv fragen, um der Angelegenheit auf diese Art und Weise näher zu kommen.
Das "Lyrische Ich" war und ist zu allen Zeiten sehr umstritten gewesen.
Immer wieder stellt sich die Frage, ob es mit dem Autor gleichzusetzen ist oder ob es sich hierbei um eine fiktive Figur handelt.
Ich persönlich bin ein Verfechter der These, dass es sich beim "Lyrischen Ich" in einem Text zunächst einmal um eine fiktive Figur handelt, denn es steht mir als Leser gar nicht zu, es mit dem Autor gleichzusetzen, weil es sich dabei um eine Unterstellung handeln würde (es sei denn, der Autor bekennt sich eindeutig dazu).
Ich gehe sogar noch weiter und behaupte, dass es zwar dem unbedarften Leser passieren darf, das "Lyrische Ich" mit dem Autor gelichzusetzen, aber wenn dies durch einen Dichterkollegen / eine Dichterkollegin geschieht, dann ist das höchst unprofessionell und zeigt, dass diese(r) keine Ahnung von der Materie an sich haben kann.
Hier im Internet treten wir Dichter fast alle unter unserem Alter Ego oder einem sogenannten Avatar auf.
Das heißt, unsere Pseudonyme sind künstliche Personen oder grafische Stellvertreter unserer echten Personen in der virtuellen Welt.
Wie kann man also bei einem Rollengedicht (und das sind die meisten Gedichte), in welchem das "Lyrische Ich" die Rolle einer Figur übernimmt, dies mit dem Autor gleichsetzen?
Das bleibt mir unverständlich, denn letztendlich handelt es sich hier lediglich um die sogenannte Sprechinstanz des Autors.
Dieser kann nämlich genau so gut das "Lyrische Ich" weglassen und den Text in der dritten Person schreiben. Das ist ausschließlich eine Frage des Stils und - natürlich - der persönlichen dichterischen Fähigkeiten.
Will der Autor beschreibend bleiben, benutzt er die dritte Person, will er aber im erlebnisästhetischen Sinn dichterische, also gefühlsbetonte, scheinbar besonders authentische Stimmungen erschaffen, verwendet er oft das "Lyrische Ich".
Man sollte als ernstzunehmender Dichter, wenn man einen Text kritisch unter die Lupe nimmt, diesen zunächst einmal differenziert analysieren, um den Sprecher eines Textes bestimmen und vom textexternen Autor und textinternen Figuren unterscheiden zu können.
Daher habe ich es mir zur Gewohnheit gemacht, zunächst einmal von einem Protagonisten in einem Gedicht mit "Lyrischem Ich" zu reden, denn auch ich nehme für mich das Recht in Anspruch, dass meine Texte, also meine "Kunstwerke" bitte zunächst einmal von mir als Person getrennt zu betrachten sind, obwohl ich selbstverständlich nicht abstreiten kann, dass in meine literarischen Werke Elemente aus meinem (Er)Leben einfließen (können).
Außerdem bin ich der Meinung, dass die künstlerische Äußerung oder Gestaltung bzw. die mir eigentümliche Geschlossenheit der Aussage in meinen Texten nicht außen vor gelassen werden sollte, was auch für meine kulturelle Prägung und soziale Fremdbestimmtheit gilt, die weder ich noch meine Werke unterlaufen können und diese daher auch immer für sich bestehend und souverän von meinen persönlichen Intentionen meine Texte mitgestalten.
Von daher ist die Frage nach dem "Scheißdreck des Lyrischen Ichs" in deinem Text vollkommen berechtigt.
Allerdings sehe ich in deinen Zeilen wenig Humor oder Satire, so das ich persönlich denke, sie wären bei dieser Thematik besser in der "Denkerklause" aufgehoben.
Gerne gelesen, intensiv damit auseinandergesetzt und kommentiert...
Liebe Grüße
Bis bald
Falderwald