Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt 30.08.2014, 21:06   #4
Erich Kykal
TENEBRAE
 
Benutzerbild von Erich Kykal
 
Registriert seit: 18.02.2009
Ort: Österreich
Beiträge: 8.570
Standard

Hi, Faldi!

Du bist sehr eloquent darin, Einwände gleich welcher Art abzuschmettern, und oft genug gebe ich dir sogar Recht darin.

Aber nicht immer. Es besteht ein Unterschied darin, WAS du mit einem Gedicht aussagen wolltest und WIE gut für den Durchschnittsleser nachvollziehbar du es dann sprachlich tatsächlich umgesetzt hast.

Hier gibt es eben leider an jeder Ecke Möglichkeiten, in der Interpretation falsch abzubiegen. Das beginnt mit der "Du"-Form, die meist benutzt wird, um eine bestimmte Person anzusprechen. Tust du dies hier nun oder benutzt du sie zur Erläuterung eines allgemeinen Umstandes, bei der das "du" quasi alle mit einschließt? Das bereits macht in der Interpretation der letztendlichen Aussage einen eklatanten Unterschied!

Die nächste Missverständlichkeit lauert in S1Z4: Hier spricht man von "dem,was VOR dir liegt auf deinen Wegen" - ein Orakel? Eine Weissagung, in die Zukunft gerichtet? Hatte der Protagonist bisher ein gutes Leben?

Das widerspricht der Aussage in S2Z3, wo gesagt wird, dass ihn dieses Schicksal "immerfort durch seine Zeit" begleitet - also eigentlich auch vorher schon.

In S3Z2 wird nicht darauf eingegangen, welcher "Augenblick" von Wichtigkeit da gemeint sein könnte, es fehlt der Bezug: Der Augenblick einer Erkenntnis? Der Augenblick, da alles an üblem Geschick über ihn hereinbricht? Der Augenblick einer Erleuchtung?
Der "Augenblick, in welchem er verzweifelt Halt an den Geländern der Hoffnung sucht", erscheint mir sprachlich zu langatmig und etwas zu schwammig, da fehlt eine klare Katharsis.

Wie bereits erwähnt lauert in S3Z3 die nächste Unklarheit: Das Bild von der Welt der Blender, das ihn in der Formulierung dieser Zeile quasi ausklammert, in der folgenden aber mit einrechnet. Ihn, den mit "du" Angesprochenen - denn man vergisst immer wieder, dass du als Autor diese Form hier nur nutzt, um eine allgmeine Weisheit zu verdeutlichen und mit dem "du" ALLE ansprechen willst - was zur Wirrnis beiträgt.

Die vage Weisheit des letzten Terzetts erklärt weder, worin diese freiflottierend konstatierte Verblendung (ohne jede Erklärung oder Begründung dazu) nun bestehen soll, weder seine noch die aller anderen, noch geht sie näher auf die Art des "Blickwinkelveränderns" ein, das als Allheilmittel gepriesen wird.
Das ganze auf ein simples "Don't worry - be happy!" zu reduzieren, erscheint mir zu billig. Monty Python's Song "Always look on the bright side of life" trifft es vielleicht eher, vor allem, wenn man die Filmszene dazu kennt und die Ironie dahinter begreift.

Was also sollst "du" im Angesicht all der "Death Valley - Ankündigungen" tun? Die Perspektive wechseln und so tun, als wäre alles gar nicht so schlimm? Sagst du das dann jemandem am Grab seiner Mutter??? (Nur so als anschauliches Beispiel für die Sinnhaftigkeit solcher Floskeln)
Oder ist mit der "Blickveränderung" etwas anderes gemeint - was leider wiederum in keiner Weise erklärt oder näher erläutert wird?

Ich finde, in diesem Fall ist die Sonettform einfach zu kurz, um dein Szenario wirklich erschöpfend zu umreißen. So findet der Leser wenig Halt zwischen unbegründeten Behauptungen und Allgemeinplätzen, die eher verunsichern als mitnehmen.

Und ehe du wieder eine mittlere Vorlesung mit Widerlegungsargumenten folgen lässt: Dies alles beschreibt MEINEN SUBJEKTIVEN EINDRUCK, ohne Anspruch auf Richtigkeit. Andere mögen es anders sehen, aber mich werden auch seitenlange Erklärungen nicht von diesem nun einmal gewonnenen Eindruck abbringen. Schließlich geht es beim Dichten genau darum:
Mittels des Instrumentes der Sprache EINDRÜCKE zu wecken, die - vielleicht, wenn man Glück hat - den Leser erreichen und seine Fantasie schulen und/oder ein Umdenken provozieren.

Ich beschreibe hier nicht deine lyrische Intention, sondern nur meinen persönlichen Eindruck von deiner Umsetzung ebendieser, die ich im vorliegenden Fall eben nicht für sehr gelungen halte. Ich hoffe, du kannst mit dieser Kritik leben, denn eine negative bekommt du ohnehin höchst selten von mir.

LG, eKy
__________________
Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen.
Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen!
Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind.
Dummheit und Demut befreunden sich selten.

Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.

Geändert von Erich Kykal (30.08.2014 um 21:10 Uhr)
Erich Kykal ist offline   Mit Zitat antworten