Hallo zusammen,
ich habe mit Interesse diese Diskussion verfolgt und glaube zu verstehen, was du meinst, wolo.
Zum Shakespeare-Sonett möchte ich mich nicht weiter äußern. Ich kann mich zwar gut in der englischen Sprache verständigen, doch würde ich mich auf gar keinen Fall hier auf eine Fachdiskussion einlassen.
Warum Rilke seine Zeilen so geschrieben hat, kann ich auch nicht beantworten, vielleicht hat er einfach auf ein gleichmäßiges Metrum "gepfiffen".
Es gibt noch etliche andere Texte von ihm in dieser Weise.
Zum Thema Leinwand möchte ich mich
Thomas' Beitrag anschließen, den ihr wahrscheinlich überlesen habt, ich finde, er hat das gut und bildlich dargestellt.
Ein guter Freund von mir ist Musiker und wir haben oft über den Takt bzw. das Metrum diskutiert.
Ein Takt besteht aus zwei Halb-,vier Viertel-, acht Achteltakten usw...
Diese lassen sich auch noch untereinander kombinieren, so dass ein Takt z. B. auch aus zwei Vierteltakten und vier Achteltakten, und das auch noch alternierend, bestehen kann.
Leider kennt die akzentuierende Metrik der deutschen Sprache keine langen und kurzen Takte, sondern nur mehr oder weniger betonte und unbetonte Silben, was die Kombinationsmöglichkeiten erheblich einschränkt.
Wenn wir die fünf "Grundmetren" Jambus, Trochäus, Daktylus, Anapäst und Amphibrachys einmal näher betrachten, so finden wir dort alle
regelmäßigen Kombinationsmöglichkeiten, die unsere Sprache hergibt, zunächst einmal gegeben.
Die theoretischen Konstrukte dieser muss ich hier nicht näher erläutern, die sind uns wohl alle geläufig.
Mit den "Grundmetren" sind die Optionen aber noch nicht erschöpft, denn es ist zudem möglich, auch diese noch untereinander zu kombinieren. Und wenn das sinnvoll gestaltet wird, ergibt sich trotz allem ein regelmäßiges "Metrikbild".
Ich möchte das mal an einem kleinen Beispiel (Eigentext) verdeutlichen:
Große Augen fragten stumm
und kleine Tränen liefen,
ging sie nach Elysium,
weil sie die Engel riefen?
XxXxXxX
xXxXxXx
XxXxXxX
xXxXxXx
Und wenn das hintereinander betrachtet wird, ergibt sich folgendes Bild absoluter Regelmäßigkeit, obwohl hier Tröchäen und Jamben abwechselnd kombiniert wurden:
XxXxXxXxXxXxXxXxXxXxXxXxXxXx
Jetzt gibt es natürlich auch "betonungsmäßig" schwierige Worte, die sich aber im Fluss des jeweiligen Metrums manchmal durchaus arrangieren lassen, wenn z B. im Jambus oder Trochäus drei eigentlich unbetonte Silben aufeinander treffen und dann die mittlere von ihnen eine leichte "Erhebung" erfährt. Damit lässt sich schön experimentiern und spielen.
Und jetzt noch einmal zum sogenannten Hebungsprall:
Ich habe mit Claudi vielfach darüber diskutiert, dass es in der deutschen Metrik einen solchen eigentlich gar nicht gibt.
Vielleicht haben wir auch immer aneinander vorbei geredet, denn natürlich lässt sich ein solcher durchaus, z. B. im Pentameter konstruieren.
Nun würde ich den Pentameter aber nicht unbedingt als ein regelmäßiges Metrum bezeichnen, sondern eher als Ausnahme, erscheint er doch praktisch nur im elegischen Distichon als zweiter Vers und wird damit zum Exoten.
Kommt ein solcher Hebungsprall -wohlgemerkt- innerhalb einer Zeile vor, dann fällt diese Zeile definitiv aus dem regelmäßigen Metrum heraus, denn sie entspricht dann nicht mehr einer der fünf "Grundmetren".
Ebenso verhält es sich, wenn innerhalb einer Zeile das Metrum, also die "Betonungsstruktur", gewechselt wird.
Selbstverständlich kann und darf ein Dichter so arbeiten, aber er sollte sich dann auch nicht wundern, wenn ihm ein geübter Leser sagt, dass ihm dies aufgefallen sei.
Ich weiß jetzt nicht, ob dich diese Erklärungen zufrieden stellen können, wolo, aber wenn ich dir aufgrund meines Metrikverständnisses mitteile, dass einer deiner Texte aus den vorgenannten Gründen eben keinen regelmäßigen Jambus etc. aufweist, dann stellt dies doch keine Belehrung oder direkte negative Kritik dar.
Du musst ja dabei auch berücksichtigen, dass du dann vielleicht einen eigenen, ganz persönlichen "Sprachtakt" kreiert hast, den dein Leser erst einmal richtig erfassen muss.
Ich würde auch nicht so weit gehen und sagen, dass ein Sonett, was o. a. Unregelmäßigkeiten in der Metrik aufweist, aus diesem Grunde nun kein Sonett mehr sei.
Es gibt heute viele Abweichungen vom streng klassischen Sonett, warum also auch nicht eine solche?
Nur sollte man das dann auch anmerken dürfen, ohne dass sich der entsprechende Autor auf den Schlips getreten fühlt.
In diesem Sinne sag ich mal, probiert es aus und experimentiert, was "die Leinwand" hält.
Liebe Grüße
Falderwald