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Alt 22.10.2015, 08:10   #5
Falderwald
Lyrische Emotion
 
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Moin Claudi, moin wolo,

wie ich schon schrieb, sind das persönliche Anmerkungen, weil lediglich ich das so empfinde. Damit sind meine Aussagen relativiert und stellen keine Allgemeingültigkeit dar.
Meinen Geschmack trifft das jedenfalls nicht.

Meine erste Anmerkung möchte ich mit einem kleinen Beispiel erläutern:

Angenommen ich bin auf einer zweispurigen Autobahn unterwegs und habe meinen Tempomat auf 120 km/h eingestellt.
Auf der rechten Spur sind die deutlich langsameren LKWs unterwegs.
Wegen des Rechtsfahrgebotes nutze ich die linke Fahrbahn also nur zum Überholen. Es kommt ein LKW, ich wechsel die Spur und wenn ich diesen überholt habe, schere ich wieder rechts ein.
Dabei kann es vorkommen, dass ich auch mal zwei oder mehrere LKWs überhole, aber dann geht es wieder rechts rüber.
Solange es funktioniert, empfinde ich das als fließend.
Das geht sieben, acht oder neun Mal gut, doch beim zehnten Mal, ich bin in der Lücke auf der rechten Seite zwischen zwei LKWs, kommen von hinten einige eilige Autofahrer auf der linken Spur angebraust und ich kann nicht ausscheren, sondern muss abbremsen.
Dann sind meine fließenden 120 km/h unterbrochen.
Wem das Spaß macht @Claudi, dem sei das unbenommen, mir jedenfalls bereitet das kein Vergnügen.
Und so verhält es sich auch in der Lyrik.
Eine möglichst fließende Sprache, ein möglichst luftiger Rhythmus ohne Reibungswiderstand, das ist es, was der geflügelten Sprache ihre Flügel verleiht.
Wenn nun jemand eifrig darum bemüht ist, was ich jetzt speziell diesem Sonett nicht unterstellen möchte, aus diesem "Gleiten" auszubrechen, dann wirkt das auf den Lesefluss hemmend.
Das mag zwar dann vom Autor so gewollt sein, ob dies aber in jedem Fall eine positive Wirkung auf den Leser erzielt, möchte ich in Frage stellen.

Viele deiner Texte @Claudi besitzen eine gute Grundidee, sind klug und durchdacht, aber man merkt ihnen teilweise ihr künstliches Konstrukt an, sie erscheinen mir nicht mehr natürlich sondern geplant, einfach ausgedrückt, es fehlt ihnen an Leben, weil sie eben nicht frei nach Schnauze und aus dem Herzen kommend wirken, sondern hier und da zurecht gefeilt, dort zusammengestutzt, also mit künstlich eingebauten Ecken und Kanten.

Das kann man auch nicht lernen, indem man sich in ellenlangen Diskussionen mit Fachtermini ergeht. Das alles bleibt rein theoretisch und die Umsetzung solcher Dinge wirken dann gekünstelt, aber nicht mehr künstlerisch.
Ich gehe jede Wette ein, dass die alten Dichter sich nicht solche Gedanken darüber gemacht haben. Sie haben sicherlich viel gelesen, das Gelesene verinnerlicht und umgesetzt, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass einem Werk wie Goethes Reineke Fuchs Endlosdiskussionen um das künstliche Konstrukt des Hexameters vorangegangen sind.
Der hat sich hingesetzt und geschrieben, wie ihm der Schnabel gewachsen war.

Wie gesagt, das ist meine unmaßgebliche Meinung zu diesem Thema.

Kommen wir zum zweiten Punkt, dem "Bo-den".

Man kann das zwar als pfiffig und innovativ bezeichnen, als richtiger Reim geht dies allerdings nicht durch, weil kein Mensch "Bo --- den" spricht und liest, sondern immer "Boden" als Gesamtwort erhalten bleibt.
Ich lese z.B. in einem Brief auch getrennte Worte am Zeilenende nicht wirklich getrennt. Worttrennungen gibt es meines Erachtens nur deshalb, um Platz zu sparen. Sie besitzen keine andere Funktion.

Das mag dem ein oder anderen als gewitzte Idee gefallen, mehr ist da aber nicht rauszuholen.

Letztendlich wirst du, wolo, keine allgemeingültige und befriedigende Antwort auf deine diesbezüglichen Fragen bekommen.
Du kannst nur experimentieren und ausprobieren, wie es auf deine Leser wirkt, welche dir bestenfalls ihr persönliches Empfinden auf solcherlei Dinge mitteilen können.

Und daran werden sich stets die Geister scheiden, weil dies immer subjektiven Betrachtungen unterworfen ist.


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald


Edit:

Ich sehe gerade, wolo, unsere Beiträge haben sich überschnitten.
Eine Anregung für die erste Stelle hätte ich vielleicht anzubieten:

Im fernen Land, in Afrika, da sitzt
ein quakender Frosch und träumt von der Liebe im Sumpf.

Zwar weiß ich nicht, ob dies deinen Vorstellungen entspricht, aber es fließt wieder.


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Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine)




Geändert von Falderwald (22.10.2015 um 08:14 Uhr) Grund: Nachtrag
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