Hi Thomas!
Hier spielst du offenkundig auf die Parallelen der Merkel'schen (und allgem. europäischen) Politik zur Apeacement-Politik des britischen Kanzlers Chamberlain gegenüber Hitler vor dem II.WK an: Man gestattete dem Diktator um des lieben Friedens willen, ein Gebiet nach dem anderen zu annektieren ...
Die Parallelen des Vorgehens von Hitler und Erdogan sind allerdings beängstigend: Ausschaltung inländischer politischer Gegner durch Verhaftung, Erklärung eines Feiertages für die "Märtyrer der Sache" - nur bei Hitler waren das die Toten seines gescheiterten Putschversuches, bei Erdogan jene, die den Putschversuch scheitern ließen.
Besetzung der Machtpositionen durch treue Vasallen oder Verwandte, Unterdrückung der Presse und freien Medien, Steuerung der Volksmeinung durch Propaganda und "Starker Mann"- Gehabe, Einschüchterung und Folter, usw...
Auch Hitler gab sich zu Beginn als volksnaher Reichskanzler und hebelte danach im Geheimen sukzessive die demokratischen Funktionen der Weimarer Republik aus, bis er sein scheindemokratisches Tarnmäntelchen endlich ablegen konnte und zum "Führer" für alle wurde.
Erdogan scheint genauso zu verfahren, nur etwas vorsichtiger und langsamer. Sein scheindemokratisches Gewand wird er so rasch nicht ablegen können, zumal Europa ja mit den Nazis ein gutes Beispiel totalitäter Machtergreifung vor Augen hat.
Alles hängt davon ab, wie lange Erdogan der europäischen Gemeinschaft etwas vorzumachen gedenkt, weil er sich davon wirtschaftliche oder politische Vorteile verspricht.
Und alle stecken wieder den Kopf in den Sand, ja um bloß die eigenen Wähler nicht zu verärgern! Kann mir doch keiner erzählen, dass Merkel und Konsorten so geschichtsblind wären, dass ihnen die Parallelen nicht ebenfalls aufgefallen wären!
Die Türkei hat seit dem 2.WK einen tiefsitzenden Minderwertigkeitskomplex, und endlich kommt jemand und haut auf den Putz und gibt ihnen das Gefühl, jemand zu sein! Das erinnert mich an das Deutschland nach dem ersten Weltkrieg: wirtschaftlich niedergehalten und sich (in diesem Fall zurecht) ungerecht behandelt fühlend von der Weltpolitik. Was damals vornehmlich dem französischen Revanchismus geschuldet war, verursachen heute die Außenvorhaltung durch die EU, die aufgezwungene Pufferfunktion zwischen abendländischer und islamischer Welt sowie die immer noch teils archaischen Clanstrukturen und die nach wie vor in einer harten Vergangenheit verwurzelte patriarchalische machohafte Brutalgesellschaft, deren moralisches Wertekonstrukt immer noch Gewalt als Lösung beinhaltet, und in der das Individuum /fast) nichts zählt - nur der Zusammenhalt einer Gemeinschaft das Überleben garantiert.
Nun, hinterher ist es leicht zu sagen: Das war der falsche Weg! Hätte Chamberlain besser Bescheid gewusst über das, was die Nazis umtrieb und wieviel ihre Versprechen und Verträge wert waren, er wäre diesen Weg wohl nicht so weit gegangen. Kann man ihm einen Vorwurf daraus machen, dass er um jeden Preis den Frieden erhalten wollte für sein Volk? Krieg und Tod sind nie gute Lösungen, aber manchmal leider unumgänglich, wenn sie einem von außen aufgezwungen werden.
Aber das sollte und kann wirklich nur das allerletzte Mittel zur Selbsterhaltung sein!
Macht Merkel es heute genauso falsch? Oder hat sie erkannt, dass sie die Türkei durch offene Kritik, Ausgrenzung und politische Verachtung nur noch mehr in die Isolation treiben und radikalisieren würde. Denn dann hätte Erdogan noch leichteres Spiel, wenn er sein Volk gegen äußere Feine nach allen Seiten vereinen könnte - genau mit diesem Drehmoment hat Hitler gearbeitet: Mit dem Frust der Deutschen, die in einem ungerechten Frieden, wirschaftlich isoliert und international verachtet dahinvegetierten. Da staut sich einiges auf, und jedes Volk mit etwas Stolz sagt dann irgendwann: Aber mit uns nicht! Jetzt zeigen wir's ihnen erst recht!
So lange sich eine türkische Mehrheit mit Erdogan identifiziert (oder so lange er es nach außen so aussehen lassen kann) und nicht erkennt (oder erkennen will), wo das hinführt und wie geschickt er alle manipuliert und mit der Sehnsucht nach vergangener Größe spielt, wird man mit erhobenen Zeigefingern und Abkehr nichts erreichen. Das führt dann nur noch schneller zum "Neuen osmanischen Reich" (das dritte?)! Mit Beschwichtigung und Schweigen gewinnt man aber auch nichts, das ist das Dilemma.
So lange sich die türkische Nation von Europa nicht für voll genommen fühlt und außen vor gehalten wird, aus welchen wie sehr berechtigten Gründen auch immer, werden wir nichts ändern, im Gegenteil - irgendwann orientieren sie sich dann wieder nach der anderen Seite.
Nach Atatürk war die Türkei sehr prowestlich, und erst in den letzten Jahrzehnten der Verweigerung der offiziellen Zugehörigkeit zum westlichen Kulturkreis haben wieder mehr und mehr die rückwärts gewandten islamistischen Kräfte an Einfluss gewonnen, was in der Machtübernahme Erdogans gipfelte.
Und jetzt haben wir den Salat ...
Naja, das waren so ein paar Gedanken zur Materie ...
LG, eKy
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Geändert von Erich Kykal (25.07.2016 um 09:35 Uhr)
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