Thema: Sonett
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Alt 08.08.2016, 12:52   #18
Romantiker2016
Holger
 
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Guten Tag Koko.

Deine Zeilen veranlassen mich dazu, einiges Grundsätzliches anzumerken. -
In vielen Dingen haben Kritiker von Kunstwerken formal recht. - Besonders anschaulich ist das im "Rilke Handbuch" nachzulesen, in dem Manfred Engel und seine Kollegen an einigen Stellen Gedichte von Rilke geradezu auseinander nehmen und Logikfehler sowie andere Fehler nachweisen. Es sind Satzwendungen vom Dichter benutzt worden, die einem Regelfanatiker die Haare zu Berge stehen lassen.^ - Natürlich haben die Professoren aus formalistischen Gründen recht, und oft kann man ein Gedicht in dem Sinne wirklich verbessern; richtig ist aber auch, dass Formalismen ein Gedicht kalt werden lassen können wie einen toten Fisch. - Haben nun Rilke und seine Dichterkollegen den Blick "vor den wissenschaftlichen Fakten verloren" wie Du schreibst, oder war es ihnen einfach schnuppe, was Kritiker, die sich nicht als Künstler legitimieren können, schreiben? - Die Wahrheit ist, dass die meisten Dichter niemals Kritiken an ihren Werken gelesen haben, weil sie sich, in den Räumen der Kunst seiend, stets im Recht sahen. Siehe, die Linguistik schlägt Purzelbäume und dem Künstler ist´s egal. - Dazu ein Zitat von John Keats:

„Es gibt kein Handwerk der Poesie : Wenn Poesie nicht von selbst kommt, wie die Blätter am Baum, dann ist es keine Poesie. - Man versteht ein Gedicht allein durch die Sinne; es ist eine Erfahrung, die kein Nachdenken braucht. - Wenn man in einen See steigt, um zu baden, denkt man nicht ans Ufer zurück; man ist im Genuss der Wellen. - Poesie tröstet und bringt der Seele die Welt der Geheimnisse nah.“ John Keats

Dieses Zitat weist alle formalismusgeilen Kritiker in die Schranken, nicht wahr ?

Und Hölderlin, zu den besagten Räumen der Kunst:

Ich verstand die Stille des Aethers,
Der Menschen Worte verstand ich nie.

Hölderlin (Da ich ein Knabe war)

Wie auch Schiller im Gesamtzusammenhang des Themas sagt: "Es liebt die Welt, das Strahlende zu schwärzen / und das Erhabne in den Staub zu ziehn".


Sind nun alle Künstler doof, oder sind die Kritiker doof ? - Eine provokante Frage, und da wären wir wieder bei der Frage der Demut. - Es gibt dennoch verständige Literaturwissenschaftler, die "so etwas abnickenen", wie Du es - jedoch in der Negation - ausdrückst, Koko. Der Determinismus der Metrik ist für den Künstler Richtschnur und Empfehlung, jedoch übersteigt die Hoheit der Poesie (siehe Keats) jedes Regelwerk!! - Ich weiß, dass das viele Menschen nicht verstehen werden, weil sie eben keine Künstler sind, aber wenn in diesem Zusammenhang nicht Toleranz als Imperativ auftreten sollte, wo dann ?

Was meine Dichtung betrifft: Ich habe es mit vielen Fachleuten und Autoren zu tun gehabt; keiner - wirklich keiner - der Professoren oder Dichter hat dabei ein Augenmerk auf die Metrik gerichtet; niemand hat nach Logikfehlern geschaut. - Warum ? - Diese Menschen haben das Große-Ganze im Auge gehabt; die Wirkung und die Aussage des jeweiligen Werkes. - Ist deshalb jede Kritik zu verdammen ? Natürlich nicht, wenn sie denn erwünscht ist.
Dennoch, natürlich gibt es objektiv gesehen viele Fehler, auch bei bedeutenden Dichtern. - Das sollte aber nicht dazu führen, in der Betrachtung das Werk an sich außer acht zu lassen. - Plump gesagt, man sollte sich davor hüten, den Wald vor Bäumen nicht zu sehen. - Unzählige Gedichte in den Gedichte-Foren werden als Blüte wirklicher Kunst , als Ergebnis einer empfindsamen Seele, regelrecht zertrampelt und erdrückt im Wahn von egoistischer Rechthaberei und aus Unkenntnis der wirklichen Gegebenheiten heraus.

Nun habe ich hier mehrfach kundgetan, dass ich das Forum nicht als Schreibwerkstatt sehe, und es graust mich ein wenig, wie die alleinige Sichtweise einzelner kritisierender Personen als das Maß aller Dinge erhoben wird, bei der Beurteilung von Gedichten! - Von Achtung, Demut und Akzeptanz ist dort leider keine Spur zu finden.

Was wäre zum Beispiel gewesen, liebe Koko, wenn ich in der Strophe:

Blumen, niemals welkend, die keiner dir nimmt -
mögen Zeitenstürme auch toben und wallen -
dir sind glorreiche Blüten von Engeln bestimmt,
deren Lieder dir stets im Innersten hallen.

hinter dem Wort "wallen" einen Punkt oder ein Semikolon gesetzt hätte (mir schien aber ein Gedankenstrich passender). - Schon wär´s kein Fehler mehr ? - Es ist auch so kein Fehler, denn der Gedankenstrich führt eben zu einem neuen Gedanken. - Man kann sicherlich dazu eine Frage stellen, es aber als Fehler zu kennzeichnen ist falsch.

Zitat Koko:

Wer vermochte, ohne ein blindes Sehen,
rein und fest in diesen Reichen zu stehen ?
Doch jene Blumen sind immer für uns bereit.

Was ist ein blindes Sehen in diesem Zusammenhang? Entweder sieht man die Blumen und findet die Erbauung oder man sieht nix und findet den Garten Eden nicht.


Antwort: Wir Menschen unterliegen alle einem blinden Sehen, weil wir die Welt beschränkt (als Ausschnitt der Realität) wahrnehmen; nur ein erleuchteter Mensch nimmt Dinge wahr, die darüber hinaus reichen. - Die "Reiche" sind natürlich die "dunklen Räume der Erbauung, welche von den Blumen erhellt werden". Ich habe für das Sonett das folgende Grundschema gewählt: 4 + 4 = These, 3+3= Synthese. Du scheinst die Hauptintention des Gedichtes leider überhaupt nicht verstanden zu haben, Koko


Zitat Koko:

Du möchtest deinen Zeilen Pathos geben, das dem Inhalt angemessen ist. Dies versuchst du zu erreichen über Kettennebensätze, eingeschobenes Adjektiv, was das Ganze aber nur unübersichtlich macht. Der Kernsatz würde heißen:“ An welchen himmelwärts strebenden Wiesen wachsen…Blumen der Hoffnung, die diesen dunklen Räumen ferne Erbauung schenken.“
Durch die verschwurbelte Konstruktion fällt zunächst nicht auf, dass du im letzen Satz eine Inversion hast und zudem ein zweites Subjekt , nämlich „uns“. Dem linguistisch ungebildeten Leser mag das nicht auffallen und er sagt: Poh, toll! So’n langer Satz.“.
Faktisch ist es aber einfach falsch. Deine Erklärung zum „uns“ gut und schön, sie ändert nichts an dem grammatikalischen Lapsus.
Bei aller Freundlichkeit: den Literaturwissenschaftler möchte ich sehen, der SOWAS abnickt.

Antwort: Das magst Du so sehen, es ist aber eine rein subjektive Betrachtung von Dir; andere emögen das anders sehen, und so empfindet jeder ein Gedicht anders, nämlich als ein individuelles Erlebnis. Faktisch ist nichts falsch! - Borniert wird´s nur dann, wenn man seine persönliche Meinung zu einem Gedicht als die alleinig richtige darstellt.

Ich könnte hier noch viele Seiten zum Thema Dichtung, die als Kunst erkennbar ist, schreiben, jedoch möchte ich meine Einlassung hier beenden: Wer´s nicht verstanden hat, wird´s sowieso nie verstehen.

Zum Schluss ein paar versöhnende Verse aus dem Faust; der Dichter spricht:

O sprich mir nicht von jener bunten Menge,
Bei deren Anblick uns der Geist entflieht.
Verhülle mir das wogende Gedränge,
Das wider Willen uns zum Strudel zieht.
Nein, führe mich zur stillen Himmelsenge,
Wo nur dem Dichter reine Freude blüht;
Wo Lieb und Freundschaft unsres Herzens Segen
Mit Götterhand erschaffen und erpflegen.
Ach! was in tiefer Brust uns da entsprungen,
Was sich die Lippe schüchtern vorgelallt,
Mißraten jetzt und jetzt vielleicht gelungen,
Verschlingt des wilden Augenblicks Gewalt.
Oft, wenn es erst durch Jahre durchgedrungen,
Erscheint es in vollendeter Gestalt.
Was glänzt, ist für den Augenblick geboren,
Das Echte bleibt der Nachwelt unverloren.

Hier etabliert sich unter anderem die Erkenntnis, dass ein Kunstwerk niemals fertig sein wird und auch fehlerbehaftet sein kann, jedoch der Glanz der Geburt eines wahrhaftigen Kunstwerkes wohnt ihm von Anfang an inne.

Herzlichst, Holger
__________________
„ . . . wenn uns das Lärmen der Tage erschöpft, tun sich leise träumend
Land und Himmel auf, – Wiesen werden zu sanften Brüdern.“

Geändert von Romantiker2016 (08.08.2016 um 14:11 Uhr)
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