Thema: Miss Amerika
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Alt 14.01.2017, 23:02   #4
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Hi Thomas!

Durch dein Trumpgedicht hierher verwiesen, habe ich deine Miss Amerika mit Interesse gelesen. Du zeichnest das Bild vom "Gerippe" alter Hoffnungen und Ideale, das nur noch von Profitgier und Machtdünkel angetrieben wird, die Fackel weiter hoch zuhalten, wie ein Zombie, langsam ausgehöhlt von Würmern und Wundbrand, Infektionen aller Art wie Rassismus, Brachialkapitalismus und nationalem Größenwahn.

Im Grunde gebe ich dir recht - aber das Bild einer Nation, ob Ideal oder "erlebter" Zustand, spielt sich letztlich nur in den Köpfen ab, die niemals das ganze Bild zu erfassen vermögen, weder das Gestern noch das Heute.
Rassismus gab es immer schon in den Staaten, früher sogar noch wesentlich mehr als heute. Die "Aufbruchstimmung", von der du sprichst, gab es nur zu wenigen Zeiten: Nach der Unabhängigkeitserklärung und - für uns noch am ehesten relevant - nach dem 2. Weltkrieg und bis zur Mondlandung, als es wirtschaftlich und technisch aufwärts ging und alles möglich schien, während das "normale" Familienklischee noch weitgehend intakt war und die Rollen klar verteilt.
Dass es damals getrennte Toiletten und Parkbänke, ja sogar unterschiedliche Eingänge zu öffentlichen Bereichen für Schwarz und Weiß gab, regte damals kaum jemanden auf, ebenso wie das konservative Rollenbild der Frau als Hausbesorgerin und Mutter.
Und das kapitalistische System wird immer nur dann als unterdrückend und ungerecht empfunden, wenn es einem signifikanten Mehranteil der Bevölkerung schlechter geht als er glaubt es verdient zu haben.

Versteh mich recht, in Den USA liegt vieles im Argen, aber nicht erst seit den Achtzigern! Nicht erst seit Trump und Konsorten. Ich könnte hier eine seitenlange Abhandlung über die mannigfaltigen Versäumnisse halten und wie sie sich immer weiter vernetzen ...
Aber es gibt auch immer noch eine große positive Kraft in diesem Land, das darf man nie unterschätzen, eine Hilfsbereitschaft im engeren sozialen Kontext, ohne die das Land bei den herrschenden Verhältnissen schon lang zusammengebrochen wäre!

Warten wir ab, was die Zeit bringt. Je älter ich werde, desto weniger Anteil nehme ich am Weltgeschehen, wie ich bemerke, teils aus Resignation über die Unausrottbarkeit menschlicher Engstirnigkeit, Dummheit und Niedertracht, teils weil sich die Strömungen und Prozesse ständig wiederholen, was man erkennt, wenn man sie lang genug betrachtet.
Aber wenn wirklich immer alles so miserabel wäre wie wir gern konstatieren, warum gibt es uns dann überhaupt noch? Ein erklecklicher Teil der Menschheit muss manches richtig machen, andernfalls lebten wir immer noch im sozialen Mittelalter oder mit den Wertemaßstäben der Bronzezeit, als man nur den eigenen Stamm als "Mensch" bezeichnete und Frauen und Kinder reines Eigentum waren, nicht anders als Vieh - Handelsware eben. In manchen Bereichen der "Zivilisation" wird noch heute so gedacht und gehandelt ...

Im Augenblick scheinen wieder die negativen Kräfte Oberhand zu gewinnen, die "dunkle Seite der Macht", wenn man so will. Aber das sind seit Urzeiten sich wiederholende Zyklen wie Ebbe und Flut, die Mechanismen menschlichen Miteinanders im großen Reaktionsrahmen. Zeiten des Wohlstands und der Stabilität wechseln ab mit Phasen des Zerfalls, Chaos und Zerstörung. Bemerkbar ist nur, dass mit Fortschreiten der globalen Informationsmöglichkeiten die "Reiche" seit der Steinzeit immer größer und komplexer wurden. Extrapoliert man diesen Prozess in die Zukunft, darf man hoffen, dass sich die Menschheit, so sie sich nicht gänzlich aus der Welt bombt, irgendwann in einem weltumspannenden System zusammenfinden wird, das seine Kräfte und Ziele nach außen richtet. Nicht dass die Menschen dann ameisengleich gleichgeschaltet wären - es wird immer Dünkel und Hass geben! Aber irgendwann wird man gelernt haben, dass nationalistisches oder religiös induziertes Elitendenken kontraproduktiv für die Fortentwicklung unserer Art sind und sie in den Bereich persönlicher Privatmeinung verbannen, wo sie keinen Anspruch mehr darauf haben, die Politik von ganzen Kulturen zu bestimmen!

Eine Utopie, ich weiß, nur eine von unzähligen Möglichkeiten, aber es ist ebenjene, an der ich mich gerne festklammere, wenn der weltpolitische Seegang mal wieder unruhig wird, weil irgendwelche komplexgetriebene Selbstdarsteller, machtbesessene Egomanen und bildungsferne Idioten das Schiff der Menschheit in gefährliche Gewässer gesteuert haben!

LG, eKy
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Geändert von Erich Kykal (16.01.2017 um 18:24 Uhr)
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