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Alt 02.01.2017, 11:32   #6
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Hi Angelika!

Ich nehme selten etwas persönlich, es sei denn, ich interpretiere es aufgrund gewisser Merkmale als bewusst gewollten Angriff - und selbst dann bleibe ich noch lange "cool".

Einen Dichter zu verdammen und zu negieren, bloß weil er am Ende seines Lebens ein aus heutiger Sicht unglückliches Händchen für Politik hatte, finde ich gedankenlos und oberflächlich.
Umso mehr, wenn man bedenkt, wie verfahren und unsozial die politische Situation in Europa vor dem ersten WK war, und wie sehr weite Bevölkerungsschichten danach unter Wirtschaftskrise und Korruption litten. Da erschienen Leute wie Mussolini, die ordentlich Wind machten und das Alte, Überkommene hinwegfegten, einem idealistischen Poeten gern als willkommener Besen. Man muss auch bedenken, dass der Mussolini der frühen Jahre - als Rilke noch lebte - kaum etwas mit dem späteren Diktator von eigenen Gnaden gemein hatte, der sich mit Hitler verbündete und zuletzt völlig von ihm überwältigt und abhängig wurde.
Dazu kommt, dass Rilke in einer monarchistisch orientierten Gesellschaft aufwuchs und lebte - ein "starker Mann" vorneweg galt vor den Greueln der Weltkriege durchaus nicht als etwas grundsätzlich Negatives und Vermeidungswürdiges!
Außerdem - für jemanden, der nicht selbst dabei war, ist es leicht, ein idealisiertes Bild von bestimmten Vorgängen zu generieren, vor allem, wenn er sich von den Zuständen davor umso tiefer abgestoßen fühlt!
Rilke deshalb also mit deinem heutigen Wissen und Maß zu beurteilen, so als hätte erschon damals wissen müssen, wie sich all das entwickeln würde, finde ich seltsam ... unlogisch. Und eine Aussage wie: "Der Mensch ist das Werk, wie das Werk der Mensch ist" finde ich geradezu hoffärtig vereinfachend und reduzierend. Solche Gemeinplätze erwarte ich von dünkelhaften Parolenschreiern, aber nicht von intelligenten Zeitgenossen! Jeder Mensch ist unfasslich viel mehr als das, wodurch er sich der Welt mitteilt und was er - bewusst oder unbewusst - darin erschafft. Was ihm nachgesagt oder worauf er mit dem Schleier der Jahre reduziert wird, dafür kann er nichts.

Zum Thema "verflossene Zeit", "Stil von gestern": Alles rotiert, alles war irgendwann schon mal da. Man braucht nur die Mode zu betrachten, all die "Revivals" usw...
Es ist überall so: Geschmack wandelt sich mit den Generationen, und was der einen verstaubt, ja antiquiert erscheint, mag der nächsten schon wieder einen Kick geben! Ich bin sicher, meine Art zu schreiben wird irgendwann wieder gelesen und genossen, vor allem, weil sie ganz zeitentkoppelt die Sprache an sich feiert. Ich werde nicht mehr leben - also wird es mir egal sein, genauso übrigens, wenn es anders kommen sollte.
Ich präferiere einfach deshalb die "alte Sprache", weil sie mir um Häuser besser gefällt las die moderne prosaische Nüchternheit! Wieviele wundervolle Ausdrücke sind heute nicht mehr geläufig, weil im Fernsehzeitalter so sehr auf die Quote geachtet wird, dass man die Programme sprachlich möglichst simpel gestaltet, damit auch der letzte Prolet sich nicht gedemütigt fühlen muss, wenn er guckt! Ich bevorzuge eine reiche Sprache!
Bei der Symbiose von Form und Inhalt bin ich ganz bei dir - es ist ein Idealfall, der selbst großen Dichtern selten gelingt. Der Rest bleibt zeitnahes Geschmacksempfinden.

Um beim obigen Werk zu bleiben: Es ist weder Fisch noch Fleisch, es ist - und ich weise erneut darauf hin, dass dies nur meine eigene, ganz persönliche Ansicht ist, ohne Option auf gemeingültiges Urteil - ein Homunkulus aus klarem Anspruch auf "alte" Ausdrucksweisen und lyrische Formulierkunst, durchmischt mit dagegen tapsig wirkenden Phrasierungen, die alle paar Zeilen die aufgebaute lyrische Stimmung/Spannung aushebeln und ad absurdum führen - als würde mitten beim Sex einer regelmäßig "Mahlzeit" brüllen!
So zumindest ist es mir bei der Lektüre erschienen, und ich habe es dir ehrlich und aufrichtig mitgeteilt.
Klar, du darfst das gerne anders sehen und ich akzeptiere das auch. Ich habe mir nur erlaubt, auf meine eigene Meinung dazu hinzuweisen - du musst dich dadurch nicht angegriffen oder falsch verstanden fühlen. Im Gegenteil: Ich bin es, der gern unbedingt richtig verstanden werden will, daher meine Ausführungen. Können wir es nun dabei belassen?


LG, eKy
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen.
Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen!
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Dummheit und Demut befreunden sich selten.

Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.
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