Thema: Rote Lippen
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Alt 17.08.2019, 17:56   #2
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Zitat von Jonny Beitrag anzeigen
Laute Hände, die in stillen Seitengassen
fest und fordernd mich an meinen Schultern fassen.
Dunkle Augen - welche alle Schatten kennen -
viel zu rote Lippen, die sich Lisa nennen.

Kalte Laken, in kleinen rotdurchtränkten Räumen;
Zeit ist Geld, in diesem Bett, da ist kein Platz zum träumen.
Ein viel zu starker Duft auf fremder, weicher Haut -
ich kenn dich nicht - und doch ist alles so vertraut...

Hi Jonny!

Gefällt mir sehr gut - "süffig" geschrieben, vollmundig und sehr gut klanglich abgestimmt.

In S2Z1 - Senkungsprall auf "Laken, in". Das wirft den Takt des Verses über den Haufen!

Mögliche Korrektur: "Kalte Laken in den rotdurchtränkten Räumen;" (Das "rotdurchtränkt" hier gefällt mir besonders - es weist neben der erotischen Kitscheinrichtung auch auf Blut hin, auf Gewalt und Zwang, und das vielleicht nicht nur bei S/M-Rollenspielen .. auf die mögliche Dunkelheit hinter der geschäftsmäßigen Fassade!)

S2Z2 - "zum Träumen" - bei hauptwörtlichem Gebrauch groß schreiben: "zum" = "zu dem" - Artikel! Zudem ist diese ganze Zeile um einen Heber zu lang (7 statt wie alle anderen 6). Solche unregelmaßigen Ausreißer muss man vermeiden. Wechselt das Hebungsschema aber rhythmisch und mit Regelmaß, ist es gewiss ein lyrisches Stilelement und bewusst eingesetzt.

Mögliche passende Version: "Zeit ist Geld in diesem Bett - kein Platz zum Träumen."

Ein klangbildlicher Vorschlag für S2Z4 - Statt des harten, zischenden "ist" ein weicheres "wirkt". Läse sich flüssiger.


Auch inhaltlich bin ich ganz bei dir. Einige meiner Gedichte schlagen in eine ähnliche Kerbe, zB:

Hurenviertel

Im Dunkelgrau der spiegelnassen Straßen
entheiligt sich die Unschuld jeder Stunde,
wird fortgewaschen mit den welken Träumen
Gestrauchelter, wo immer sie auch fielen.

Und jeglicher Kredit, den sie besaßen,
vertan, verspielt in dieser kalten Runde,
die keine Träume tragen kann: sie räumen
das Feld, wo Gier und Wollust Fangen spielen.

Der Takt, darin sie ihre Zeit bemaßen,
diktierte jedes Wort aus ihrem Munde,
rechtfertigte das klägliche Versäumen
von Menschlichkeit in unerreichten Zielen.


An eine namenlose Hure

Du legst mir sanft die Linderung der Nacht
an meines wunden Herzens offne Blüte.
In meine totenhohle Seele rieselt sacht
das nie bedankte Wohltun deiner Güte.

Und will ich zu dir sprechen, legst du mir
den Finger lächelnd an der Lippen Ränder.
Die weiche Dunkelheit umfängt uns zart, und wir
bereisen willig ihre unerforschten Länder.

Du schmiegst dich duftend an mein dürres Leben,
erhebst mein Dasein an den Rand von Glück.
Am Morgen will ich gern dir das Verdiente geben
und finde schwerer in mein Einsamsein zurück.



Sehr gern gelesen!

LG, eKy
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Geändert von Erich Kykal (17.08.2019 um 18:14 Uhr)
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