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Alt 12.10.2011, 17:59   #4
Stimme der Zeit
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Hallo, Galapapa,

also was den "Lauf" betrifft, kann ich Chavali nur kräftig nickend und bewundernd zustimmen. Das beeindruckt auch mich!

Auf den Zusammenhang zwischen Früchten und Ernte (Herbst), dem kommenden Winter und dem Leben hat Chavali bereits hingewiesen, daher begebe ich mich auf die Suche nach "mehr".

Was mir positiv auffällt, sind die wörtlichen Zusammenhänge in den einzelnen Strophen.

In S1 sind es die "rotbackigen" und "bunten" Farben von Früchten und Blättern (Hecken), die den (Lebens)garten säumen. So, wie Pflanzen im Herbst das Laub abwerfen, hat das LI hier die (Jugend)träume "abgestreift.

In S2 sind es "verloren", "verwelkt", "vergoren" und "müde".

In S3 sind es "Wärme", "Sonnenstück", "Vogelschwärme" und, das ist interessant, zwar "weit" aber auch (das) "Greifen".

In S4 sind es "verblüht", "vergehn", "kriechen" und dann: "bleibt (es) stehn".

In S1 und S3 zeigt das Gedicht die "positiven Seiten" des "Gartens" auf und in S2 sowie S4 sind es die (nicht negativen, nein) "vergänglichen" Seiten ...

So sind die Jahreszeiten, sowohl im Garten als auch im Leben. Das ist sehr schön dargestellt, wirklich.

Ich kann mich inhaltlich nur Chavalis "Chapeau" anschließen, das ist ein sehr, sehr schönes Werk!

Erlaube mir nur ein paar Hinweise und Ratschläge, was mein "Lieblings"-Versmaß, den jambischen Sechsheber betrifft.

Bei diesem Versmaß entsteht ein ganz besonderer, "zweigeteilter Takt", der, je nach Inhalt, ein "Hin- und Her" oder ein "Wiegen" erzeugt. Ich habe kein Problem, von 6 auf 5 Hebungen "umzuschalten", das geht sehr gut, wenn ich in den 5hebigen Versen "zäsurlos" lese. Wenn man die Zäsuren (Pausen) in den 5hebigen Versen "pausiert", dann gerät man nämlich leicht aus dem Takt ...

Ich möche noch etwas erwähnen, denn das ist gewissermaßen bei diesem Versmaß das "Wichtigste". Um dem 6hebigen Rhythmus "folgen" zu können, musste ich mir die entsprechenden Verse etwas "zurechttakten": Der jambische Sechsheber hat, bedingt durch seinen speziellen Aufbau, eine sehr starke Zäsur nach der 6. Silbe. Da diese Zäsur so ausgeprägt ist, sollte man vermeiden, dass sie "inmitten" eines Wortes liegt. Ich zeige es mal kurz auf:

Zitat:
Mit roten Backen fällt // das Obst aus meinen Bäumen,

Im Daseinsgarten scheint // die Jugendkraft verloren,

Der starke Wille in // den Zielen ist vergoren

Gedanken ziehen still, // wie späte Vogelschwärme
Wenn man die "Zäsur-Pause" beachtet, bemerkt man den speziellen Rhythmus, der dir in diesen Versen ausgezeichnet gelungen ist.

Zitat:
In buntem Laub stehn Hec//ken, die den Garten säumen,

Die alten Glieder sau//gen letzte, echte Wärme

In den verblühten Blu//men kann man Winter riechen,

ich sehe schon die klam//men Nebel trübe kriechen,
Wenn du dich in den typischen "Wiege-Rhythmus" hineinbegibst, "hörst" du den Unterschied? Es ist kein Fehler, deshalb merke ich das nicht an, sondern es soll nur als Erklärung dienen, dass du natürlich auch absichtlich die Zäsur "versetzen" und einen anderen Rhythmus erzeugen kannst, z. B. so:

Zitat:
In buntem Laub stehn Hecken, // die den Garten säumen,

Die alten Glieder saugen // letzte, echte Wärme

In den verblühten Blumen // kann man Winter riechen,

ich sehe schon die klammen // Nebel trübe kriechen,
Man kann das durchaus gut so lesen und in einen (anderen) Rhythmus "hineinfinden".

Es ist im Gedicht nur so, dass es genau "halb-halb" ist, und das verhindert einen "einheitlichen" Rhythmus, ich hoffe, ich kann verdeutlichen, was ich sagen möchte.

Das ist nicht als Kritik gemeint, nimm es bitte als einen "klanglichen" Hinweis. Ich kann hier den "Gesamtrhythmus" finden, aber dafür muss ich entweder mit den Zäsuren "jonglieren" oder sie bewusst "überlesen". (Was ich gerade bei meinem "Lieblingsversmaß" eigentlich ein bisschen schade finde, denn dessen "Melodie" hat für mich einen besonderen "Reiz".)

Als "Tipp": 6 Hebungen lassen sich auch gut mit 4 Hebungen kombinieren, ich nehme die ersten beiden Verse aus deinem Gedicht und ändere den 2. Vers ein wenig, um es zu demonstrieren.

Mit roten Backen fällt // das Obst aus meinen Bäumen,
die Früchte, // sie sind längst gereift.

Das wäre z. B. sehr "lebendig", es erzeugt den Eindruck von "Schnelligkeit", besonders nach der Zäsur in Vers 2. Mit den 4 Hebungen "beschleunigt" man also, kann aber auch einen "härteren" Inhalt gut darstellen.

Der starke Wille in // den Zielen ist vergoren
zu einem müden // Lächeln im Gesicht.

So kann man mit 5 Hebungen kombinieren, wenn man auch dort eine "starke" Zäsur in die "Mitte" setzt. Dann verhindert die geringere Silbenzahl ein "Leiern", was bei durchgehend 6 Hebungen bei längeren Werken leicht passieren kann. Allerdings gehört dann "Übung" dazu, um nicht am Beginn von Vers 2 zu "stolpern". So gelingt das "Lesen" am besten:

Der starke Wille in // den Zielen ist vergoren
zu einem müden Lächeln im Gesicht.

Wenn man Vers 2 bewusst "ohne Pause" liest, gelingt das rhythmische Lesen gut. Interessant dabei ist, dass man Vers 2 unwillkürlich schneller liest ...

In den verblühten Blumen // kann man Winter riechen,
einen Duft von Abschied, / Kälte und Vergehn,

Wenn man hier die Zäsur bei den 6 Hebungen nach einer Senkung (7. Silbe) anstatt der Hebung auf der 6. setzt, kann man den Jambus des ersten Verses auch sehr gut mit einem Trochäus im zweiten fortsetzen, was wieder einen ganz anderen Rhythmus erzeugt, besonders, da Vers 1 mit einer Senkung beginnt und endet und Vers 2 jeweils mit einer Hebung. Das kann man "singen", es ergibt einen ganz "eigene Wortmelodie" ...

Lieber Galapapa, ich hoffe, du nimmst mir diese Ausführungen nicht übel! Ich möchte weder belehren noch kritisieren, sondern dir nur aufzeigen, wie vielfältig die Gestaltungs- und Kombinationsmöglichkeiten dieses Versmaßes sind. Am meisten würde es mich freuen, wenn es dir als Anregung für künftige Werke dienen könnte!

Deshalb am Schluss noch einmal: Dein Gedicht ist wirklich etwas Schönes, auf jeden Fall!

Sehr gerne gelesen, kommentiert und über "Möglichkeiten" geplaudert.

Liebe Grüße

Stimme
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