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Alt 23.09.2012, 20:21   #18
Falderwald
Lyrische Emotion
 
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Moin Antigone,

ich habe deinen Eintrag schon am Freitag gelesen, konnte jedoch nicht sogleich antworten, da wir Besuch am Wochenende hatten.

Das war vielleicht auch ganz gut so, denn deine Worte haben mir zu denken gegeben.

Zitat:
Ich habe nicht alles an Diskussion gelesen, hier wird mir ein bisschen zu abgehoben fabuliert, aber mein Eindruck ist: Obwohl du nach eigenem Bekenntnis die Religion ablehnst - Religion baut auf der Philosophie des Idealismus auf -, berufst du dich dennoch auf die idealistische Philosophie eines Platon, eines Kant und eines Schopenhauer a. a. O. Wie geht das zusammen? Bist du also der Ansicht, du könntest nur Teile des Idealismus verwerfen, den Rest aber ganz gut gebrauchen?
Ich denke, ich habe mich schon als Fan der Schopenhaurschen Philosophie zu erkennen gegeben, bin mir aber im Klaren darüber, daß einige Teile in der heutigen Zeit als überholt gelten.
Schopenhauers eigentliches Anliegen war, daß er die Menschen zu eigenem Nachdenken anregen wollte, was ihm zumindest bei einigen Menschen auch gelungen ist.

Sein Hauptwerk beginnt mit den Worten: "Die Welt ist meine Vorstellung."

Ich persönlich halte das für ehrlich und wahr, denn damit erhebt er selbst keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit, sondern beschreibt die Welt so, wie sie sich aus seiner Sicht darstellt.
Und man sollte sich bei jeder Philosophie, bei aller Faszination, immer wieder selbst klar machen, daß dies eben auch nur die Gedanken- und Vorstellungswelt eines anderen Menschen ist, auch wenn deren Intelligenz unbestritten sehr hoch war.

Derer gab es einige, die tweilweise im krassen Widerspruch zueinander standen, so daß jedem wirklich Interssierten eigentlich keine andere Wahl bleibt, als die Gedanken jener mit den eigenen Erfahrungen abzugleichen und dann für sich selbst zu entscheiden, welchem Ideal er folgen kann und will.
Es genügt eben nicht, nur apriorische Erkenntnisse zu gewinnen, sie müssen sich auch a posteriori erfahren bzw. anwenden lassen. Das wäre also z. B. meine Kritik an Kant.

Doch muss ich an diesem Punkte noch einen kleinen Einspruch einlegen, denn es entspricht nicht ganz den Tatsachen, daß Religion auf die Philosophie des Idealismus' aufbaut. Sicherlich finden sich einige "Platonische Gedanken" darin wieder, aber Religion existiert ja nun doch deutlich länger als Kants, Schopenhauers oder Feuerbachs etc. Schriften.

Zudem war Schopenhauer deutlich kritischer als Kant oder die reinen Idealisten. Aber das nur am Rande.

Zitat:
Du bist der Ansicht, wie ich der Diskussion entnehme, dass der Mensch in und mit der Natur leben müsse.
Er muss es nicht nur, er tut es sogar.
Die Natur ist überall um uns herum, wir können uns ihr nicht entziehen.
Ohne z. B. die Naturelemente Luft und Wasser wäre unser Art der Existenz nicht denkbar.

Zitat:
Dagegen ist nichts einzuwenden, nur eine Kleinigkeit: Der Mensch ist nicht nur Teil der Natur, sondern er ist auch Teil der menschlichen Gesellschaft.
Nun, dem stimme ich durchaus zu, jedoch gebe ich zu bedenken, daß die menschliche Gesellschaft, so wie wir sie heutzutage verstehen, ein künstliches Produkt ist.

Zitat:
Letzteres scheint dir nicht der Erwähnung als zentraler Punkt menschlichen Lebens wert, falls ich richtig gelesen habe.
Richtig, denn der einzelne Mensch bekleidet in der menschlichen Gesellschaft lediglich eine oder mehrere Rollen, die aber nicht zwangsläufig sein wahres Wesen darstellen.
Freilich können seine Handlungen Auswirkung auf die Gesellschaft haben, so daß diese gezwungen wird, zu reagieren oder eben nicht.
Aber für sein inneres Wesen ist diese Gesellschaft - zunächst einmal - zweitrangig.
Sie wird ihn nicht davon abhalten, Luft zu atmen oder Wasser zu trinken.
Außerdem ist durchaus in Strophe 4 ein Bezug zur Gesellschaft gegeben.

Daß erwachte Geister heller denken,
daß ein Schein nicht an der Wahrheit frisst,
daß die Menschen sich ein Lächeln schenken,
weil ihr Mitgefühl in Ordnung ist,
daß Vertrauen nicht zur Fessel werde
und Gefühle nicht verboten sind,
so ein schönes Leben auf der Erde,
das wünscht sich ein jedes Menschenkind.

Zitat:
Und jetzt verstehe ich auch einiges in deinem Gedicht besser als vor der Diskussion. Deine Hymne ist ganz auf der idealistischen Philosophie aufgebaut, und das ist der Haken an ihr.
Ich bin nicht der Meinung, daß diese Hymne ganz auf der idealistischen Philosophie aufgebaut ist, denn sie ist zwischen den Zeilen durchaus kritischer.
Sicherlich finden sich dort Wunschträume des "Lyrischen Ichs", doch sie entlarvt den reinen Idealismus als lediglich menschliche Vorstellung von den Dingen, von denen er nichts wissen kann.

Zitat:
Deshalb die Irrungen und Wirrungen, die ich herauslese, die schließliche Ratlosigkeit, dennoch aber die innere Übereinstimmung mit den Erscheinungen.
Die "Irrungen und Wirrungen" sind eine Foge der Relationen, ohne die nichts existieren könnte.
Ohne Licht gäbe es keine Dunkelheit, ohne Kälte keine Wärme, ohne Hass keine Liebe. Fehlte der Gegenpol, könnten wir es nicht empfinden, geschweige denn benennen.

Die "Ratlosigkeit" ist eine Erkenntnis und damit das Eingeständnis, von den Dingen an sich nichts wissen zu können. (Frag mal einen Wissenschaftler nach dem inneren Wesen von Elektrizität, Magnetismus, Gravitation etc. Es bleibt lediglich bei der Erscheinung jener Dinge und ihrer Eigenschaften. Wir können das auch erzeugen, aber was es wirklich ist, wissen wir nicht, können wir nicht wissen.)

Das heißt jetzt aber nicht, daß ich eine agnostische Position beziehen würde, ganz im Gegenteil.
Der Agnostiker sagt nämlich z.B., er könne weder beweisen, ob es einen Gott gibt, noch, daß es ihn nicht gibt.
Das häufigste Argument eines Gläubigen ist aber, wenn du so davon überzeugt bist, daß es keinen Gott gibt, dann beweise das.
Das ist aber falsch, denn die Aussage es gibt einen Gott, ist lediglich eine menschliche Behauptung. Solange es keinen Beweis für die Existenz eines Gottes gibt, ist auch nicht anzunehmen, daß es einen gibt.
Der Behauptende ist also in der Beweispflicht.
Und solange kein Beweis vorliegt, bleibt eine solche Aussage, was sie ist:
Eine bloße Idee, also ein menschlich künstliches Konstrukt.

Die "Übereinstimmung mit den Erscheinungen" aber ist eine Notwendigkeit.
Der Mensch kann sich nur auf diese berufen, denn nur diese haben für ihn einen realen Wert.
Was anderes bleibt ihm nicht.

Auch spielen Emotionen, von denen sich niemand freisprechen kann, eine wesentliche Rolle in der menschlichen Existenz.
Sie können alles beeinflussen und sie sind real vorhanden.
Was liegt also näher, als sich auf die schönste und edelste Emotion, nämlich die Liebe, zu berufen?
Nur in der Liebe liegt die konstruktive Kraft.
Und wenn diese zum höchsten anzustrebenden Ideal empostiege und realisiert werden könnte, würden die destruktiven Kräfte nach und nach schwinden, was doch durchaus als postiver Zustand zu bezeichnen wäre.

Freilich ein hohes Ideal und auch nur eine individuelle Idee, doch sie ist ästhetisch, sowohl für die Urteilskraft, als auch für die praktische ethische Vernunft.

Ohne Gotteslüge und ohne Beschneidung der geistigen Freiheit ist dieser Text eben eine Hymne an die Liebe.


Vielen Dank für deine Gedanken und das eingangs erwähnte Lob...


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald
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Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine)



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