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Alt 17.02.2013, 15:49   #4
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asphaltwaldwesen
 
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Ich denke, letztlich filtert sich ohnehin jeder selbst die ihm wichtige Essenz für Haiku aus all den qualitativ unterschiedlichen verfügbaren "Das ist Haiku und so muss es sein"-Quellen.

Lieber Thomas,

ich freue mich jedenfalls sehr, dass du dieses Terrain nun doch betreten hast!

Version 1 ist mir persönlich auch zu episch und auch klanglich etwas sperrig - ist haiku doch in erster Linie nach meinem Verständnis ein "eingefangener Moment" - eine Momentaufnahme, die ein Empfinden, einen Impuls in sich einzufangen versucht. Das möglichst objektiv seitens des Autors. Es geht um eine Moment-Wahrnehmung, die - wie auch in der japanischen Pinselmalerei und Kalligraphie üblich - nach reiflicher Kontemplation mit möglichst wenigen, auf Anhieb sitzenden Pinselstrichen auf Papier gebannt wird. Langes Herumfeilen nach einem Erstentwurf ist definitiv der falsche Weg, langes "Vorspüren" vor dem Schreiben schon eher am Kern der Sache. Neue Versuche auf jeden Fall besser als am schon Vorhandenen herumzudoktern.

Haiku thematisiert die dialektische Begegnung des Dichters mit der Natur im Sinne einer Meditation.

Sehr schön wird es m.E. hier erklärt:
w w w.japanaesthetik.de/?page_id=166


Insofern gefällt mir Variante 2 gar nicht schlecht.
Vor allem, weil hier die Dynamik schon näher an dem ist, was ich an haiku so schätze. Allerdings fehlt mir noch ein wenig die spezielle Momentaufnahme. Der Schnee bzw. die Urne sind ja noch eine Viertelstunde später auch in dem Zustand wie grade beschrieben... fein aber die eindeutige Zuordenbarkeit zu einer Jahreszeit (essentiell für haiku!)!

Die beste Methode übrigens, haiku auf die Spur zu kommen: haiku lesen. Und zwar von Quellen, die anerkannt sind. Zum Beispiel gute Übersetzungen original alter haiku aus der Zeit von Basho und Co. Auch von Japanern anerkannte haiku-Autoren. Imma von Bodmershoff zum Beispiel. Man entwickelt eher ein Gespür für haiku, indem man viele liest, als indem man viele selbst "verbricht"

LG,

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