Thema: Bücher
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Alt 04.03.2011, 18:43   #4
Lord Skarak
Gast
 
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Standard Ich grüße Dich, Kurier!

Da wir uns hier das erste Mal begegnen begrüße ich Dich hiermit zunächst herzlichst in unserem Forum.
In meinen Kommentaren neige ich zu der Struktur "Erst Technik, dann Inhalt". Hier ist aus meiner Sicht zu dem technischen Aspekt des Textes wirklich verblüffend wenig zu sagen. Er ist "ungereimt", hat eine feste, einwandfrei ausgeführte metrische Struktur, welche sich simpel ausdrückt:

xXxxXxxXxxXx für jeden ersten Vers und
xXxxXxxXxxX für jeden zweiten.

Lautmalerisch ist er für meine Empfindung eher ungerichtet, er ist was diesen Aspekt angeht so nüchtern wie die Kategorie in der Du ihn veröffentlicht hast. Um etwas genauer zu werden: ich finde zum Beispiel keine Anordnungen von Vokalen deren Verteilung einen anderen Eindruck erweckt als den der Zufälligkeit. Tatsächlich scheint Erich an diesem Punkt etwas ähnliches "gefühlt" zu haben. Dennoch, und damit muss ich bereits zum Inhalt übergehen:

Dein LyIch scheint sehr wohl eine ziemlich... "affektierte" Einstellung zu Büchern und auch zu deren Autoren zu haben. Dies drückt es allerdings mehr durch simple, umschreibende Wortwahl als durch "Klangmalereien" aus. Es wird auf "Können" und auf das "Lesen" als einen Akt verwiesen. Es ist die Rede von "bunten Bildern" (eine Alliteration, die wahrscheinlich in 97% aller Fälle mehr ein willkürlicher sprachlicher Auswuchs ist, als ein vom Schreiber beabsichtigtes Stilmittel), worauf eine - passend zur Kategorie - absolut alltägliche Dichotomie von "Schatten und Licht" folgt. Diese und andere Passagen führen mich zu dem Schluss dass es sich bei Deinem LyIch um einen gut konstruierten "Alltagsgeist" handelt, welcher seine einfache Freude an einfachen, herkömmlichen Dingen in ebenso simpler, nicht auf Größe bauender Sprache ausdrückt. Das Lesen hat ihn gebildet, er kennt das Bild des Januskopfes und sieht in seiner "physischen" Zweigesichtigkeit ein Analoges zur Charakter- oder Affektspaltung, das alte Bild der "zwei Seelen in meiner Brust", ein allgegenwärtiges und im selben Maße alltägliches und abgegriffenes Thema (passend zur Kategorie). Der Januskopf "grüßt" ihn, eine Geste, wie sie banaler und alltäglicher nicht sein könnte. Doch für das LyIch hat dies anscheinend etwas beeindruckendes, es sieht eine Art grenzenlosen Stil hinter den zusammenhängenden Zeilen der Bücher seiner Sammlung. Das hat sogar eine gewissermaßen fetischistische Komponente, denn ihm scheinen schon gewaltig die Gefühle zu gehen in Anbetracht eines Schreibwerkes und wäre mein Name jetzt Freud, würde ich vielleicht sogar so weit gehen hinter dem ersten Satzteil "Im Umfang beträchtlich" ein verstecktes phallisches Symbol zu sehen und mit dessen Deutung fortzufahren. So richtet sich der Fokus meiner Betrachtung jedoch mehr auf die alltäglichen Bilder, das anti-pathetische Element des Textes, welches von dem Lyrischen Ich an vielen Stellen fast künstlich mit affektiver oder symbolischer Bedeutung angereichert wird. "Aufgeblasen" scheint sein Bezug zu der Lektüre, die Metaphern die es wählt um das auszudrücken sind in ihrem Übergang so flüssig wie eine Ansammlung von Schlaglöchern, seine Sprache ist in der Tat so "kerbend" wie jene die es zu besingen vermeint, der trabende Rhythmus in dem es das ausdrückt erweckt durch den Zusammenhang den Eindruck eines verzüchteten Ponys von irgend einer x-beliebigen Beauty-Ranch, unnatürlich, auf simple Merkmale reduziert und nur zu einer stillen, gewächshausähnlichen Existenz kraftvoll genug. Es scheint auch eine Art Beauty- oder vielleicht Status-Bewusstsein durch die Zeilen, wenn man sich die erste Strophe ansieht. Es wird das Lesen zum '"Akt" überhöht, es wird sehr handwerklich von "federndem" Können gesprochen, auch die schreibende "Zunft" dringt ihrer Wortwahl nach in diesen Bereich. In jener Zunft sitzen die "Sachkundigen", jene die das Handwerk des Schreibens auf mechanischer Ebene so elaboriert haben, dass das Lesen zum (Kraft-)Akt wird. Nichts ist flüssig, manches überflüssig und der Gipfel der starren, alltagsgrauen Empfindungen sind "Annalen wie Stein". Darin wird der Langeweile ein unfällbares Monument gesetzt. Aber das LyIch kann diesen Dingen etwas abgewinnen, der herkömmlichen Alliteration, der alltäglichen Dichotomie und der eigentümlichen, ambivalenten Betrachtung von Büchern. Doch der Leser bleibt unberührt von dem verschrobenen, mechanischen Trab dieses Textes, was er wahrscheinlich auch bleiben soll. Denn alles, die Forenkategorie, die schlichten, abgegriffenen Metaphern, das mechanische Traben der Metrik und die "kerbende", unromantische Wortwahl - sie alle deuten darauf hin, dass es Deine Absicht war Banalitäten zum Stilmittel zu erheben und dem Leser eine eher affektfreie und fast fetischistische Sichtweise zu präsentieren, die Sichtweise eines zwar gebildeten, doch aber nur mäßig kreativen Menschen, der bei dem bloßen Anblick von Büchern emotional wird. Wirklich sehr interessant. Rein intellektuell, versteht sich.

Liebe Grüße,
Skarak

Geändert von Lord Skarak (05.03.2011 um 14:15 Uhr)