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Alt 19.10.2011, 06:38   #3
Stimme der Zeit
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Guten Morgen, liebe Dana,

das ist mein erster Versuch, ein Prosagedicht zu schreiben. Ich las einiges darüber, und kam zu dem Schluss, dass es über die "Beschaffenheit" eines solchen "unterschiedliche Meinungen" gibt. (Alleine auf Wikipedia verlasse ich mich schon eine Weile nicht mehr.) Also überlegte ich, und suchte nach Übereinstimmungen in den verschiedenen Definitionen. Offenbar herrscht eine Art "Einigkeit" darin, dass der Inhalt (gattungstheoretisch) prosaisch ist, also eine Erzählung, trotz der von mir eingebauten Gedanken und Fragen eher "nüchtern", die "Struktur" bzw. "Einteilung" (wie hier z. B. in Strophen) aber die Form eines Gedichts aufweist. Zusätzlich zu dieser Form wählte ich "Eine, Ein" und in der letzten "Strophe" dann "Alle" als Beginn der einzelnen Abschnitte, was eher die Eigenschaft eines Gedichts ist. Ich würde mich freuen, wenn jemand, der/die bereits Prosagedichte geschrieben hat (oder Prosa schreibt) und sich evtl. damit "auskennt" mir eine Rückmeldung geben würde, ob ich "richtig liege".

Zitat:
diese Gesellschafts(ge)schichten nehme ich als "Geschenk" an. Viele, sehr viele solcher Geschichten geschehen ungeschrieben und unausgesprochen einfach irgendwo. Dafür braucht man nur zu sitzen, zu stehen und zu schauen. Sie ergeben sich von selbst.
(Ich liebe Aufenthalte auf Flughäfen als Zuschauer ohne Ticket in Nähe des Einlasses zur Startbahn. Dort laufen in meinem Hirn ganze Romane ab. )
Es ist erstaunlich, dass man eigentlich nur die Augen öffnen und bereit sein muss, seine Mitmenschen wahrzunehmen, dann kann man wirklich viele "Geschichten" sehen. Erstaunlich deshalb, weil sich doch die meisten Menschen beinahe krampfhaft bemühen, eben das nicht zu tun. Ich kenne zu viele, die sich selbst bei einer kurzen Unterhaltung anstrengen, mich dabei nicht "an" zu sehen, sondern "Löcher in die Luft starren". In mir erweckt das immer ein "unangenehmes" Gefühl, denn ich sehe meine Gesprächspartner an. So zeige ich doch auch, dass ich interessiert bin. Mir ein Rätsel, wirklich.

So ist es aber auch an der S-Bahn-Haltestelle und in der Bahn. Fast alle setzen sich, falls möglich, "einzeln" hin und schauen auf den Boden, in die Luft und aus dem Fenster. Die "andere Seite": Ich kann (oder besser: darf!) auch nur "Schnappschüsse" machen, denn wehe, mein Blick "streift" nur jemanden. Selbst ein kurzer Blick reicht ab und zu, damit jemand sofort in eine Art "Abwehrhaltung" geht. Ich denke, er oder sie "denkt": Was glotzt die so? Dabei ist es nur so, dass ich mein Sehvermögen nicht einfach "ausknipsen" bzw. mir die Augen ja nicht "herausnehmen" kann, nur um sicher zu gehen, dass ich nicht versehentlich jemanden "anschaue". Herrjemineh, wirklich. Mich stört es nicht, wenn mich jemand ansieht, mich würde nur echtes "Starren" stören - und das ist ganz etwas anderes.

Jedem der "Protagonisten" bin ich tatsächlich begegnet, allerdings nicht allen "auf einmal". Es ist eine Art "Querschnitt" aus meiner Erinnerung. Unsere Gesellschaft ist "vielschichtiger" als gemeinhin angenommen wird. Manche "Beobachtung" macht den "Beobachter" traurig, manche nachdenklich, manche wirken belustigend und andere ärgern oder erfreuen ihn. Auch ein Beobachter ist "nur ein Mensch", und seine innere Gedankenwelt "steuert", wie er das "identifiziert und einordnet", was er sieht.

Zitat:
Diese "Romane" hast du meinem Ansinnen entsprechend im Prosagedicht umgesetzt: Die Wirkung der zufälligen Protagonisten auf uns. Spannend wäre es, ein und dieselbe Person aus der Sicht von zwei oder mehr Beobachtern beschrieben zu bekommen. Darin würde der Bobachter selbst eine Geschichte ergeben.
Das finde ich auch spannend, wenn ich mir vorstelle, mit anderen "Beobachtern" gemeinsam da zu sitzen und unsere "Sichtweisen" über einen ganz bestimmten der zufälligen Protagonisten auszutauschen und zu "vergleichen". Stimmt, dabei würden wir sicher eine ganze Menge über uns "selbst" erzählen. Eigentlich erzählt dieses Werk hier ja "automatisch" auch ein bisschen über den Beobachter:

Zitat:
Ich habe bereits nach der zweiten Strophe auf ein offenes, unbeschwertes Kind gehofft - es kam.
Das offene, unbeschwerte Kind kommt - wenn man sein Kommen "sehen will"! Hier sagt der "Beobachter": Ja, er begegnet dem "Negativen": der sich dem "Modediktat" unterwerfenden jungen Frau; der dem "Jugendwahn" unterworfenen älteren Frau; dem "Stricher"; dem armen, alten Mann, der in den Mülleimern nach Pfandflaschen u. A. sucht; dem "erfolgreichen Geschäftsmann", der entweder nur schauspielert, damit man "glaubt", er wäre es oder dessen teures Auto in Reparatur ist; dem Jugendlichen, der sich in sich selbst zurückgezogen hat - und dem fröhlichen, unbeschwerten Kind. Was wir zuletzt lesen, bleibt "haften", deshalb kommt dieses Kind an letzter Stelle - nicht, weil es für den Beobachter an "letzter Stelle kommt" (im Sinne einer "Wertung" des Beobachters)! Allerdings: In der Gesellschaft und ihren "Schichten", hm ...

Bei allem Negativem, Traurigem, Ärgerlichem, Gewöhnlichem und Ungewöhnlichem, dem wir ständig begegnen - wenn wir bereit sind, andere Menschen wahrzunehmen - auch die Freude, die Unbeschwertheit und die Offenheit existieren, im Gedicht manifestieren sie sich in Gestalt des Kindes.

Sollte die "ganze Geschichte" hier im Papierkorb landen, da man, so erwünscht, sich ärgern, den Kopf schütteln, (sowohl sich wundernd als auch ablehnend), traurig werden kann oder sollte sie nicht gerade aufgrund des einen "kleinen" Protagonisten "aufgeschrieben" werden?

Wenn man "hinsieht" ist die Welt eben auch positiv. Ist denn die "Masse" alles, oder zählt nicht auch das "Einzelne"? Eine kleine "Geschichte" als Beispiel: Nehmen wir an, 10 Menschen wären in einen Fluss gefallen und drohten, zu ertrinken. Am Ufer steht ein Mensch, der Zugang zu einem Rettungsboot hat. Nehmen wir weiter an, der Beobachter am Ufer wüsste aus irgendeinem unerfindlichen Grund, dass 9 davon sehr "böse, schlechte" Menschen sind, er weiß aber nicht, welcher davon der "eine gute Mensch" ist. Soll er dann sagen: "Mir egal, der eine zählt nicht, weil die anderen 9 schlecht sind. Die haben es nicht anders verdient. Soll er mit ersaufen!" Also entscheidet er sich aufgrund der "Mehrheit", keinen "Rettungsversuch" zu unternehmen. Das ist völlig verkehrt. Ich "rette" lieber ggf. alle 9 "Mistkerle" mit, als den einen ertrinken zu lassen!

Zitat:
Gefällt mir ausgesprochen gut und ergibt tatsächlich bereits eine Geschichte über den sinnenden Beobachter.


Danke für deinen einfühlsamen Kommentar und ja, eine Geschichte erzählt immer auch etwas von der "Geschichte" des Beobachters.

Liebe Grüße

Stimme
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Geändert von Stimme der Zeit (19.10.2011 um 07:42 Uhr) Grund: Kleine Änderungen und Ergänzungen.
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