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Alt 10.09.2011, 21:42   #3
Stimme der Zeit
Erfahrener Eiland-Dichter
 
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Guten Abend, liebe Dana,

Zitat:
so kann man sich das Sterben vorstellen. Da bleibt kein Raum mehr für Traurikeiten und Hoffnungen. Die Sinne entschwinden fast aufzählend und was mir als besonders gelungen auffällt; es blieb nicht einmal mehr Raum für Reime.
(Ich bin ganz sicher, dass du dich bei diesem Thema bewusst für Reimlosigkeit entschieden hast.)
Ja, es liest sich wie ein Bericht über das Sterben - nur handelt es sich lediglich indirekt darum. Es geht um eine andere Art von "Tod", einem "innerlichen". Du weißt ja einiges von mir, das hier ist ein Tatsachenbericht aus der Vergangenheit. Ich las in so manchem Forum im Laufe der Zeit eine beachtliche Menge von Gedichten über diese spezielle Thematik. Leider stellte ich immer wieder fest, wie falsch die Vorstellungen darüber sind.

Das hier ist, wie du richtig bemerkst, eine lust- und leidenschaftslose, ja, gefühllose Aufzählung der Wahrnehmungen innerhalb eines ganz besonderen "Zustands", einer Krankheit, die sehr schlimm sein kann.

Das Thema lautet: Depression. Wohlgemerkt: Eine echte, klinische Depression, keine depressive Verstimmung, keine Niedergeschlagenheit und auch keine Traurigkeit. Eine wirkliche Depression ist etwas ganz Anderes.

Es schwinden nicht die Sinne allein (obwohl auch diese "abstumpfen"), es schwinden mehr und mehr alle Gefühle. Was bleibt, ist tatsächlich "nacktes" Denken. Und das würde Angst machen - aber ein Depressiver kann keine Angst haben. Es müsste traurig machen - aber ein depressiver Mensch kann nicht traurig sein.

Was also ist das Schlimme? Denken zu können und völlig hilfloser Beobachter zu sein. Denn mit Willenskraft, und davon habe ich eine Menge, war nichts auszurichten. Das Denken "funktioniert", ein Betroffener bemerkt und erkennt, was mit ihm los ist, aber das chemische Ungleichgewicht an Botenstoffen im Gehirn sorgt dafür, dass ihm jede, aber auch jede Antriebskraft fehlt - und er selbst kann nichts dagegen tun. Eigentlich müsste das Verzweiflung hervorrufen, aber auch Verzweiflung ist nicht mehr möglich. Keine Träne fließt, liebe Dana.

Es ist, als ob der Intellekt und die emotionale Selbstebene mit einer Wand aus Stahl voneinander "getrennt" wären. Die Gefühle sind "da", das weiß man, aber sie sind "unerreichbar".

Das führt zu völliger Hoffnunglosigkeit, und dem Wunsch, das "Denken" möge aufhören, damit diese "innere Leere" ein Ende hat. Bei all meiner Vorliebe für Logik: Ich weiß jetzt, dass ein Mensch ohne Gefühle nicht leben kann, das geht nicht! Es ist "unerträglich", ohne dass man in diesem Zustand etwas wie "Unerträglichkeit" fühlen kann. Im Nachhinein, nach einigen Jahren, entsetzt es mich, was damals nicht der Fall war, da es von mir nicht "gefühlt" werden konnte. Das "Innere" besteht aus einer kalten, völlig emotionslosen Leere. Und Gedanken, sonst nichts.

Zitat:
so gern würde ich es unterbrochen sehen. Es dauert immerhin Tage - (letzte Strophe, Vers 4)
Nein, liebe Dana, es dauert Jahre. Und es geht ununterbrochen abwärts, Tag für Tag an "endlos erscheinenden" Tagen. Es wird täglich immer ein bisschen "weniger".

Zitat:
. Hier frage ich mich; kalte Schichten von was?
Ich würde es heute "geistiges Eis" nennen. Der Teil des Selbst, der Gefühle empfindet, "friert" ein, und jeden Tag lagert sich eine neue "Schicht" ab. Es gibt nichts, was es "auftauen" könnte. Die "Eisschicht" wird immer "dicker".

Die Aufzählung mit den vielen der, die, das wollte ich ganz bewusst so haben, denn es entspricht den Tatsachen. Eine beinahe klinisch-emotionslose Auflistung des beständigen (Er)sterbens der Empfindungen. Denn genau so geht das vor sich.

Viele Menschen behaupten, sie hätten Depressionen, aber ich schüttele oft den Kopf, wenn sie da sitzen und (Verzeihung.) "heulen". Mit einer wirklichen Depressionen kann man nicht weinen, man kann sich nicht einmal selbst leid tun! Das ist also entweder "Schau" oder eine andere Erkrankung. Eine Depression mit Sicherheit nicht. Wer das erlebte, weiß es und kennt die Unterschiede sehr genau.

Das Gedicht folgt einem "Depressionsmuster", das ich deshalb nicht "unterbrechen" möchte, weil das bei der Depression selbst auch nicht geschieht, verstehst du?

Ich "verteidige" hier nicht, weil ich die aufzählenden Artikel für "besonders gelungen" halte, das sind sie nicht. Aber eine Notwendigkeit, eintönig und trostlos, gleichförmig und gleichgültig - im verlustlosen und lustlosen Vergehen.

Der Schlaf wird zum "Fluchtpunkt", das Ziel ist es, so viel wie möglich zu schlafen, um den Gedanken zu "entkommen" und die "Leere" nicht mehr wahrnehmen zu müssen. Der letzte Wunsch, der bleibt, ist: Das Denken soll aufhören. Deshalb denken depressiv Erkrankte an den Tod. Denn der Schlaf hat nun mal Grenzen, ein Depressiver schläft fast exzessiv viel, bis er dadurch bedingt unter starker Schlaflosigkeit zu leiden beginnt. Also wird der "ewige Schlaf" zum Ziel.

Darauf "zielt" der letzte, einzelne Vers, und deshalb steht er auch "isoliert" da.

Wenn dieses Gedicht vom physischen, d. h. "körperlichen" Sterben handeln würde, hättest du mit deinen Kritikpunkten absolut recht, liebe Dana. Es handelt sich hier aber um ein "psychisches" Sterben.

Ich hoffe, du verstehst, warum ich dieses Gedicht, das ich sehr sorgfältig "geplant" habe, so belassen möchte. Du weißt, ich nehme normalerweise bei begründeter Kritik gerne Vorschläge und Verbesserungen an, gesteh mir eine "Ausnahme" zu. Es dient nicht zuletzt auch dazu, etwas Vergangenes (von meiner "Warte" aus) endgültig "loszuwerden".

Danke, dass du dir so viel Mühe gemacht und so viele (gute!) Überlegungen angestellt hast.

Liebe Grüße

Stimme
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