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Alt 21.10.2011, 13:34   #27
Falderwald
Lyrische Emotion
 
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Hi Stimme,

ein roter Faden beginnt sich durch deinen Sonettkranz zu ziehen, denn in jedem Text ist der Bezug zur Jetztzeit zu erkennen, so daß ich hier einmal ganz frech von einem erst kürzlich zugetragenen Ereignis der Geschichte ausgehe, auf welches ich im Anschluss noch einmal zurückkommen werde.

Zitat:
Götterdämmerung

Wir werden uns der Herrschaft nicht ergeben,
Feudalstrukturen sind Vergangenheit;
das Mittelalter war vor langer Zeit.
Soll Lachesis an ihrem Teppich weben,

gefertigt aus dem endlos langen Faden,
den Klotho unermüdlich weiter spann
und Atropos allein durchtrennen kann.
Nur Narren glauben göttlichen Scharaden,

geboren aus der Welt der Illusionen.
Schamanenzauber ohne Wirklichkeit,
mit dem System von Strafen und Belohnen,

das viele Menschen als ihr Heil erstreben.
Wir könnten, wären wir dazu bereit,
Vernunft und Herz mit neuem Mut beleben.

Liegen die erwähnten politischen Strukturen wirklich schon so weit hinter uns?
Oder wirken sie nach wie vor bis in unsere Gegenwart?
Ist es nicht viel mehr so, daß sie sich heutzutage nur in dem feiner gesponnenen Gewande der freien Marktwirtschaft als Superkapitalismus auf der Weltbühne präsentieren?
In anderen Staaten dieser Welt werden Religion und Staat nicht voneinander getrennt und Diktaturen jeglicher Art existieren nach wie vor, obwohl kürzlich einige von ihnen beseitigt wurden (den Preis dafür gilt es, wie immer, noch zu entrichten).
Aber auch in der westlichen Welt wird die Religion immer wieder als Aushängschild und zur moralischen Rechtfertigung politischer Handlungen gebraucht, weshalb auch immer wieder hohe Würdenträger derselben gerne gesehen und gehört werden.

Die griechische Mythologie war eigentlich eine recht einfache und mehr den Dichtern vorbehalten und jeder konnte erkennen, daß ihre Ideologie auf allegorischen „Wahrheiten“ beruhte. Niemand wurde gezwungen, den Göttern zu dienen. Ähnlich verhielt es sich im alten Rom.
Das hier verwendete Bild der drei Moiren, die verantwortlich sind für den Lebensfaden, der von ihnen gesponnen, bemessen und durchtrennt wird, ist stellvertretend für das Schicksal zu sehen und zeigt eindeutig die sinnbildliche, gleichnishafte Darstellung abstrakter Begriffe und gedanklicher Zusammenhänge.
Alle Religionen sind lediglich aus solchen Allegorien aufgebaut und damit eigentlich schon entmystifiziert.
Letztendlich ist es gleich, ob man sich Götter aus Stein oder Gold oder aber aus Allegorien, Ideologien oder Dogmen schafft, sie bleiben immer, was sie sind, nämlich Götzenbilder.
Zwar wurzeln in den Religionen viele moralische Grundlagen, doch benötigen sie daher ihr Sanktionssystem mit Hilfe ihrer Allegorien, die auf Lug und Trug, Wunder und Offenbarungen angewiesen sind.
Große Philosophen wie Kant und Schopenhauer haben mehr als Grundlagen für Moral und Ethik geschaffen, als alle sogenannte Weltreligionen zusammen.

Leider leiden noch viel zu viele an den Manipulationen, die sie schon in frühester Kindheit eingeimpft bekamen und von diesem Traum nicht mehr loskommen, weil sie um ihr vermeintliches Seelenheil fürchten müssen.

Ich persönlich glaube, alle jungen und nicht durch solche Dogmen beeinflussten Menschen wären durchaus bereit, philosophisch moralische und ethische Lehren anzunehmen, wenn man ihnen diese auf dem Wege der Bildung entsprechend nahe bringen würde.
Allein das ist nicht gewollt, sei es durch die verblendeten Alten oder die herrschenden Systeme, die Religion immer noch als die Philosophie für das dumme und einfache Volk protegiert und in ihren schulischen Bildungssystemen zulässt.
So wird die Unwissenheit und die bewusste Unwahrheit und damit die Dummheit auch noch staatlich gefördert.
Denn man stelle sich nur einmal vor, es würden wirkliche „Denker“ herangezüchtet. Die Gefahren für die Etablierten wären wohl nicht abzusehen und daher ist die reine und wahre Philosophie unerwünscht und es wird bewusst an den alten, dummen und verlogenen Dogmen festgehalten, welche das metaphysische Bedürfnis der großen, homogenen und dummen Masse zu befriedigen vermögen.

In diesem Sinne ist dieses Sonett als außerordentlich gelungen zu betrachten.

Da wäre nur eine einzige Kritik anzumerken:

Ich würde als Autor dieses Textes auf keinen Fall in der ersten Person Plural schreiben, denn über diese göttlichen Wortspiele sind wir doch schon längst hinaus, nicht wahr?

Vorschlag:

Ihr solltet euch der Herrschaft nicht ergeben…

Ihr könntet, wäret ihr dazu bereit…

Dann hätte ich nämlich einen neuen Spitzenreiter in diesem Sonettkranz.

Vorläufige Tabelle:
  1. Götterdämmerung
  2. Retrospektive Aktualität
  3. Faites vos jeux!
  4. Der Dukatenesel
  5. Kühles Kalkül
  6. Gedankenlose Konzeption

Ach ja, was ich noch vergaß:
Ich könnte mir durchaus vorstellen, daß dieses Gedicht auf den jüngsten Papstbesuch und dessen (Aus)Wirkung in Deutschland zielt. Daran konnte man wieder einmal schön erkennen, wie die Hoffnungen vieler Menschen, die an dieses Lug- und Truggebilde glauben, an der Nase herumgeführt werden. Lächerlich…


Gerne gelesen und kommentiert…


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald
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Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine)



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