Thema: unbegreiflich
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Alt 23.07.2017, 18:50   #18
Felix
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Liebe Liara,
verzeih, wenn ich mich zunächst den beiden Kommentatorinnen zuwende.

Liebe Kokochanel,
weshalb mich Dein Kommentar nicht "befriedigte", will ich Dir kurz erklären.
Du schreibst in Deinem ersten Kommentar:
"eine Geschichte, liebe Liara, von einem Mann, der sich rauschgiftsüchtig den goldenen Schuss setzte.
Mir hat diese Geschichte etwas zu viel Klischee, Gitarrespielen und das sehr schön können auch Menschen, die nicht heroinabhängig sind.man sollte das nicht verklären.
Ich selbst wuchs in einer Zeit auf, wo Rauschgift en vogue war, modern, in. Mich hat es nie gereizt, das auszuprobieren, nur weil es so viele taten.
Da ich einige von meinen Bekannten dahin abgleiten sah, auch in Studentenkreisen, stehe ich dem sehr befremdet gegenüber.
Du schreibst (und ich bin da völlig Deiner Meinung):
"Für Kinder ist es wirklich *unbegreiflich* was da passiert ist, auch im späteren Leben noch, wenn die Kinder
schon längst erwachsen sind.
Es ist die Erkenntnis, dass man nichts zun konnte und sich vielleicht fragt, ob man das als Kind verhindern konnte.
Aber das kann man nicht und doch bleiben da vielleicht gewisse Schuldgefühle.


Ich kann dem Mann leider wenig Mileid entgegen bringen. Er hat sein Leben selbst ruiniert. Seine Verantwortungslosigkeit gipfelt darin, dass er einem Kind stundenlang vom Tod erzählt und es damit belastet.

Vom Aufbau her finde ich es seltsam, dass ein nicht näher beschriebener Mann( das klingt fremd) dann zum Idol eines Kindes wurde durch sein Gitarrespiel. Anders wäre es gewesen, wenn es der Vater gewesen wäre."


Die erzählte Geschichte erschöpft sich nicht in der Beschreibung eines Mannes, der Gitarre spielt und Lieder dazu singt und der sich dann den "goldenen Schuss" setzt. Von dem Mann erfahren wir recht wenig (er stand in der Küche, sang schöne, wenn auch traurige Lieder und erzählte dem Kind, das von den "ewiglangen" Auslassungen nichts verstand, vom Sterben und vom Tod und ließ den Worten die Tat folgen).
Du macht, so empfinde ich das, aus der Geschichte eine Erzählung über einen Mann, der letztlich seiner Drogensucht erliegt.
Ich sehe in Liaras Gedicht keine Verklärung - der Mann wird als solcher ein einziges Mal erwähnt; das Kind, die Gitarre, die Lieder und der Flieder kommen jeweils zweimal vor. Bei mir wird der Mann so etwas wie ein Katalysator, eine Nebenfigur und sein Tod durch den Suizid - na ja, die Geschichte hätte nichts verloren oder gewonnen, wenn er einem Verkehrsunfall zum Opfer gefallen wäre.
Für mich nimmt die gedoppelte Nennung von Kind - Gitarre - Lieder - Flieder
eine gewichtigere Stellung ein, die, ich wiederhole mich, vielleicht unbewusst ins Zentrum rückt. Beeindruckt haben das Kind nicht dieser Mann, nicht seine Drogensucht oder sein Suizid, sondern vielmehr das Gitarrenspiel, die Lieder und der blühende Flieder.
Deine Anmerkungen zur Drogensucht und die Gefahren, die der Drogenkonsum mit sich bringen - wer wollte Dir da widersprechen?
Wenn Du den Inhalt des Gedichts unter "pädagogischen" Aspekten sehen willst: Hier schreibt eine erwachsene Person über ein offensichtlich prägendes Kindheitserlebnis und diese erwachsene Person stellt fest, dass sie wie "er" seit Jahren ihre Lieder singt und seine Gitarre und der blühende Flieder (dessen Symbolwert m.E. nicht unterschätzt werden darf) die Klammer zu diesem Kindheitserlebnis sind. Die Drogenproblematik kann hier vernachlässigt werden, sie ist eine Randerscheinung und m.E. würde das Gedicht nichts an seinem Inhalt verlieren, wenn der Mann an Altersschwäche gestorben wäre.
Mit anderen Worten: Mich befriedigt Dein Kommentar nicht, weil er einen unwichtigen Teilaspekt heraus greift und sehr viel mehr von Deiner Einstellung zur Drogenproblematik (damit wir uns richtig verstehen - da bin ich völlig Deiner Meinung) handelt als von dem "eigentlichen" Inhalt des Gedichts.
Liebe Chavali,
ich hoffe, dass Du meiner Antwort an Kokochanel entnehmen kannst, was ich damit meine, dass die Art und Weise eines Kommentars durchaus Rückschlüsse auf den/die Kommentierenden zulässt. Dass diese Rückschlüsse nur spekulativ sein können, habe ich erwähnt.
Du schreibst:
"Für Kinder ist es wirklich *unbegreiflich* was da passiert ist, auch im späteren Leben noch, wenn die Kinder
schon längst erwachsen sind.
Es ist die Erkenntnis, dass man nichts zun konnte und sich vielleicht fragt, ob man das als Kind verhindern konnte.
Aber das kann man nicht und doch bleiben da vielleicht gewisse Schuldgefühle."


Ich denke, dass die Schuldgefühle eines Kindes immer dann wirken, wenn sich grundlegende Bedingungen (hier ist es der Tod des Mannes, bei anderen Kindern vielleicht die Scheidung der Eltern) ändern. Das Kind fühlt sich schuldig und das ist fatal.
Ich enthalte mich des Urteils darüber, ob die Verfasserin diesen "Mechanismus" durchschaut hat. Dass dieses Kindheitserlebnis prägend war, aber nicht nur im negativen Sinn, zeigt mir die gelebte Realität: Als Erwachsene singt sie ihre Lieder, der Flieder blüht wie ehedem und die Gitarre (spielt sie vielleicht selbst?) vollendet die Klammer.

Liebe Liara,
da hast Du ja was angerichtet!
Lass Dich davon überzeugen, dass ich Dir zustimme, was die Erlebnisfähigkeit und das Verstehen von Kindern angeht. Die leichten Irritationen hast Du selbst mit dem Vers: "ich verstand ihn nicht" angerichtet. Selbst wenn das Kind "nicht verstanden" hat, so hat es aber unverfälscht empfunden.
So, jetzt lehne ich mich zurück und warte auf Kokochanels (wahrscheinlich empörte) Antwort.

Liebe Grüße!

Felix

Geändert von Felix (23.07.2017 um 19:06 Uhr)
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