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Alt 20.05.2013, 11:04   #4
Falderwald
Lyrische Emotion
 
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Servus Erich,

um dieses Sonett schleiche ich schon seit Tagen etwas hilflos herum, weil ich ja weiß, wie "gerne" du Kritik bekommst...

Ich habe ein ganz großes Problem mit der ersten Strophe:

Zitat:
Wie Blumen sind Gedanken, wenn sie reifen,
erblühen in des Geistes großem Beet.
Für jeden duften sie, der dies versteht,
durch sie erwächst zu höherem Begreifen.
Was sind das für Sätze? Vor allem mit dem zweiten hadere ich, weshalb ich ihn auch als Beispiel nehmen möchte.
Beim ersten Satz verhält es sich ähnlich

"Für jeden duften sie, ..., durch sie erwächst zu höherem Begreifen."

Ich habe den eingeschobenen Nebensatz einmal weggelassen und dann entsteht das.

Zwar weiß ich, wie es gemeint ist, aber das Gefühl der Unvollständigkeit bleibt erhalten.
Nie und nimmer hätte ich das so formuliert, denn der Aufzählungscharakter geht hier verloren, vor allem, weil dadurch eine unschöne Inversion entsteht:

"Für jeden duften sie, der ..., durch sie erwächst zu höherem Begreifen."

Ohne eingeschobenen Nebensatz:

"Für jeden duften sie, der durch sie erwächst zu höherem Begreifen."

Richtig: "Für jeden duften sie, der durch sie zu höherem Begreifen erwächst.

Du kannst natürlich daran festhalten, aber das ist wahrlich kein guter Stil und liegt eigentlich 75 % unter deinem normalen Niveau, das kannst du üblicherweise besser.
Mir persönlich gefällt das überhaupt nicht, denn das sind keine normalen Formulierungen, hier weicht die natürliche Sprache einem gekünstelten Produkt, das sich an Reim und Metrik orientiert und wo sich der Autor auf die sogenannte "dichterische Freiheit" beruft.

Bei einem anderen Dichter hätte ich das vielleicht nicht angemerkt, aber bei dir muss ich einfach andere Standards anlegen, also fass es als Kompliment auf.

Zwei Möglichkeiten, die in die richtige Richtung weisen, erlaube ich mir, dir vorzuschlagen:

Wie Blumen sind Gedanken, denn sie reifen
erblühend in des Geistes großem Beet.
Durch ihren Duft wird der, der dies versteht,
erwachsen in ein höheres Begreifen.


Besser:

Wie Blumen sind Gedanken, wenn sie reifend
erblühen in des Geistes großem Beet.
Ihr Duft lässt jedermann, der dies versteht,
an ihnen wachsen, Höheres begreifend.


Man "erwächst" auch nicht an irgendetwas zu irgendetwas, sondern "wächst" z. B. mit seinen Aufgaben.
Im zweiten Vorschlag wäre auch dieses ausgemerzt.

Ich finde, es würde sich auf jeden Fall lohnen, die Strophe in dieser Art und Weise zu überarbeiten, denn der Rest ist ohne Fehl und Tadel.


Gerne gelesen, bekrittelt und kommentiert...


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald
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Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine)



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