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Alt 04.03.2017, 12:21   #10
Jongleur
Hallig-Dichter
 
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Hallo Erich,

Kann man Worte tatsächlich "gefühlsbereinigen"? Verraten sie sich nicht über den Kontext? Geht es in diesem Konflikt überhaupt um einzelne Worte? Geht es nicht um komplexe Inhalte? Um die Filme im Kopf des Schreibers und seiner Leser?

Wer oder was löst diese Sequenzen aus? Nüchtern beschriebene Details oder Meinungen über etwas, das näher zu beschreiben der Erzählende für unnötig erachtet?

Welche dinglichen Details bietet MIR dein Gedicht? Vor allem fällt mir ein Vergleich mit Fichtenstämme ins Auge.

Zitat:
Ich solle bei moderner Sprache bleiben,
um offen klare Worte aufzuschlichten,
geradeaus wie Stämme hoher Fichten,
durch die man wandelt, ohne sich zu reiben.
Ich kann es nicht stoppen: Sofort sehe ich Fichtenstämme in die Höhe ragen. Leider nicht gerade aus. - Was will mir die Metapher nun erklären? Das ist zu hoch für mich. Gleich am Anfang kommt mir das Wort "aufschlichten" in die Quere. "Ordentlich auf einander stapeln" - erklärt mir das Netz. Da ist also die Rede von ordentlich aufzustapelnde Worte, gradeaus wie die Stämme hoher Fichten, durch die man wandelt, ohne sich zu reiben. Ähm... jaaaa..... : Ratlosigkeit!

Das verstehe ich nicht! Wie stapelt man geradeaus? Und falls das überhaupt geht: Was hat dieser Akt mit Baumstämmen zu tun, durch die man wandelt, ohne sich zu reiben?

Bin ich zu dumm - oder handelt es sich hier um eine Katachrese, einen Bildbruch, entstanden durch eine semantisch unstimmige Verbindung mehrerer sprachlicher Bilder in einer Texteinheit?

Oder bezieht sich "durchwandeln" etwa auf die VOR den Stämmen erwähnten "Worte"? Wäre nicht auch DAS verquast?

Oder verstehe ich nur schlicht aufschlichten nicht? Aber warum benutzt der Autor ein ungebräuliches Wort, um für Klarheit zu sorgen? Entsteht "Tiefe" nicht erst durch eine anschauliche Kamerafahrt in eine wortwörtliche Tiefe?

Nehmen wir ein zweites Beispiel:

Zitat:
Wer wahre Schönheit mit Gemeinem steinigt,

erhebt den Leser nicht, verschließt die Türe
zu Klang und Tiefe, und sein Stammeln peinigt
des Lauschers Ohr mit humpelnder Allüre!
.
Vergessen wir mal das Relative wahrer Schönheit. Da ist von einer geschlossenen Tür zur Tiefe die Rede und von einem Stammeln, gleich einem humpelnden Gang, der das Ohr des Lauschers peinigt.

Und DAS alles setzt Erich mit moderner Sprache gleich? Und ihr beklatscht das auch noch mit Eurer stammelnden, humpelnden, modernen Art zu kommentieren? ;-)

Denn Erich bezieht sich ja nicht etwa die Aufforderung, gemein zu sprechen. Er nimmt Bezug auf den Rat, bei der modernen Sprache zu bleiben.

Und jetzt im Klartext: ich verstehe unter "verquast" im engeren Sinne schiefe Bilder, die entstehen (können), wenn nicht der Inhalt, sondern vor allem der vom Schreiber als "schön" empfundene Klang der Mitteilung beeindrucken soll. Dazu bekennt sich Erich nicht nur in diesem Gedicht.

Ich wiederum bin ein Freund des Haikus: ich genieße lieber den Nachhall eines präzise beschriebenen Momentes in der Außenwelt. Sprachliche Präzision ist für mich kein Gegner eines tiefen Gefühls, sondern eher seine Voraussetzung.

Erich, ich las in einigen Threads, auf die du dich scheinbar beziehst. Ich fand "moderne Sprache" einen viel zu breit gewählten Begriff. "Nüchtern" trifft mein Bedürfnis nach präzisem Ausdruck besser.

Seltsam, da kämpfst du (wie beispielsweise auch ich) so engagiert um das treffende "Wie" und bagatellisierst gleichzeitig so engagiert das "Was".

Um im Bild zu bleiben: Irgendwie erinnert mich das an einen Lauscher in der Tiefe, der gierig dem Klang der vielen Schritten über ihm lauscht, ohne sich jedoch sonderlich für die Gehenden zu interessieren. Mir drängt sich der Begriff "Klangfetisch" auf.

Warum nicht? Kunst ist ein weites Feld...

Lg

Geändert von Jongleur (04.03.2017 um 17:59 Uhr)
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