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Alt 06.03.2017, 18:39   #12
Jongleur
Hallig-Dichter
 
Registriert seit: 04.05.2016
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Lieber Erich,

Ich will DICH nicht auseinander nehmen. Dazu erinnert mich das Thema zu sehr an das Leben. Ich erwarte auch keine direkte Antwort. Ich fühle nur, dass meine Erfahrung mich anstachelt, deiner Absage an die moderne Sprache etwas näher zu beleuchten.

Was bedeutet nüchternes Wahrnehmen oder Schreiben überhaupt? Es bedeutet für mich, sich als zerrissenes Subjekt in einer zerrissenen Welt wahr zu nehmen. Als Mensch, der oft von sich widersprechenden Gefühlen gelähmt wird. Oder als Mensch, der sich dabei ertappt, Begeisterung, Anteilnahme, Liebe teilweise vorzutäuschen .
Lakonisches Schreiben bedeutet, in solchen Moment vieler Gefühle im Kopf auszuhalten.... und nicht nur den Fluchtimpulse ins Idyllische.

Was hingegen bedeutet "wahre Schönheit"? Für mich nicht mehr als ein flüchtiges Wolkenbild. Nichts währt ewig!
Deine Worte wie "Allüren" über "willführe" bis hinzu "wahre Schönheit" werden für mich nicht von Gefühlsstürmen durchweht, sondern von virtuellen Lüftchen virtueller arkadischer Gärten.
Was sehe ich beispielsweise , wenn kann ich "durch hohe Fichten wandeln, ohne mich zu reiben"? Nichts! Eher sehe ich mich dichtend mehr oder wenige müd durch Metropolen oder Natur irren, immer mit der Befürchtung, sowieso auf dem falschen Weg zu sein.

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Schwülstige oder antiquierte Sprache entspringt mMn permanenter Weltflucht. - Die Welt, in der wir leben, ist oft zu grausam und prosaisch. Ich kenne beispielsweise keine Herzlichkeit ohne egoistische Hintergedanken. Nur Momente, wo es so scheint. Wie gern wäre ich anders und hätte edelmütigere Weggefährten.
Doch gerade die nächtlichen Jünger eskapistischer Ausbrüche enttäuschen mich regelmäßig, wenn sie äußerlich "nüchtern" wirken. Dann fehlt es ihren an Begeisterungsfähigkeit. Und an der Kraft, Anderen zu zu hören. Dann sitzen sie längst wieder in ihrem Elfenbeinturm und referieren von oben herab leise auf arkadisch.

Die seelisch Nüchterneren hingegen haben bescheidenere Ziele, zu denen sie von ihren kleinen Plattformen täglich starten. Sie reden zurückhaltend mit mir. Quasi immer im Gehen. Selbst wenn sie rasten. Checken wach, ob wir uns nützlich sein können. Sie wollen mich in ihre Abenteuer rein ziehen. Legen schon deshalb Wert darauf, klar, wendig und überzeugend aufzutreten. Ihr Tatendrang ist ansteckend. Die Möglichkeit, eiskalt ausgenutzt zu werden, steigt mit den Werten, um die es geht.

Gerade bei diesen Menschen lande ich wieder bei einem der Kernsätze meiner Jugend: ich kann alles, ich darf nur nicht mehr versprechen, als ich besitze.

Einen Schreiber kann Zurückhaltung natürlich in den Wahnsinn treiben. Aber dieser Konflikt zwischen bescheidener Sprache und überquellender Sehnsucht ist eben deshalb nicht "gefühlsbereinigt", sondern er droht den Betroffenen emotional zu zerreißen.

Der Schwärmerische vergeudet sich nutzlos. Ich kenne kein schöneres Schreiben, als Worte permanent so weit abzukühlen, bis ich nicht mehr zwischen Geschriebenen und Gelebten unterscheiden kann. Je nüchterner ich schreibe, um so präziser treffe ich damit meine verlogene, verbogene, bedrängende, verlockende und heilsame Realität

Geändert von Jongleur (06.03.2017 um 19:17 Uhr)
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