Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt 05.05.2011, 22:19   #29
Falderwald
Lyrische Emotion
 
Benutzerbild von Falderwald
 
Registriert seit: 07.02.2009
Ort: Inselstadt Ratzeburg
Beiträge: 9.908
Standard

Moin Erich,

ich fang erst mal hinten an...

Zitat:
PS: Ich find's übrigens recht lustig, wie wir hier daherschreiben: Ich bezeichne mich als Gefühlsdichter, dein Beiname lautet "lyrische Emotion"! Also, dafür fachsimpeln wir hier eher wie furztrockene Wissenschaftstheoretiker, findest du nicht? Sehr unterhaltsam, das...(schmunzel, zwinker, extrabreitgrins)
Das liegt wahrscheinlich an meiner derzeitigen Lektüre. Neben Kant und Schopenhauer, sowie Philosophen des Zen-Buddhismus' kommt mir höchstens noch Goethe ins Hirn (damit ich den Bezug zur Lyrik nicht ganz verliere). Nebenbei noch Mathe auffrischen, dazu Physik, Chemie, (Human)Biologie und Psychologie, dann weißt du wohl, daß dies durchaus trockener Stoff sein kann. Was willst du also erwarten?

Zitat:
Es ist nur so, WIE du manche Sätze formulierst, dass es für mich einen eher anthroposophischen Eindruck erwecken: So als gäbe es die Erde, wie sie ist, WEGEN uns, als Konzept für die Erhaltung unserer Existenz - was wiederum einen "göttlichen" oder zumindest übergeordneten Willen vermuten ließe...
Mit Anthroposophie habe ich mich bisher noch nicht näher auseinander gesetzt. Nur ganz am Rande habe ich von Rudolf Steiner gehört, dessen Philosophie Elemente des deutschen Idealismus, der Weltanschauung Goethes, der Gnosis, fernöstlicher Lehren sowie der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse verbindet.
Das kommt noch und deshalb kann ich zu deiner Aussage wenig beisteuern.
Eigentlich vertrete ich mehr die Schopenhauersche Philosophie und spätestens seit Kants Kritik der reinen Vernunft ist der theosophische "Beweis" für die Existenz eines höchsten notwendigen Wesens widerlegt.
Natürlich fließen eigene, subjektive Vorstellungen immer mit ein. "Vorgekaute" Philosophien kritiklos anzunehmen, führte nur zu neuen Dogmen und wäre deshalb nicht besser als irgendein Glaube.

Zitat:
Natürlich gehe ich davon aus, dass es genau umgekehrt ist: Die "Bedingungen" waren zuerst da, und das zufällig entstandene Leben passte sich evolutionär so an, dass es überhaupt erst mal überleben KONNTE!
Wahrscheinlich ist die ursächliche Entstehung des Lebens weit unspektakulärer, als du mit deinen "Konzepten" unterstellst - ein simpler Zufallsprozess. Mutation und damit Evolution laufen ja seitdem ebenso ab: Als Zufallsprodukte, die sich durchsetzen - oder eben nicht.
Das ist nur teilweise richtig.
Selbstverständlich mussten erst die "Bedingungen" gegeben sein, dann aber entstand das Leben als eine logische und konsequente Folge daraus.
Vielleicht waren die entstandenen Bedingungen (hier auf der Erde) zufällig, weil dafür wiederum bestimmte "Bedingungen" gegeben sein mussten usw., nicht aber das daraus resultierende Leben.
(Wir können ja noch nicht einmal davon ausgehen, daß hier der erste Versuch der Natur stattfand, belebte Materie zu erschaffen.)

Wir können das aber jetzt drehen und wenden, wie wir wollen, es geht kein Weg daran vorbei, daß alles einen Grund hat.
Jeder Veränderung geht ein Grund voraus. Kein Ding kommt in Bewegung, wenn keine Kraft darauf einwirkt.
Schopenhauer sagt: "Wenn ein neuer Zustand einer oder mehrerer realer Objekte eintritt; so muss ihm ein anderer vorhergegangen sein, auf welchen der neue regelmäßig, d.h. allemal, sooft der erstere da ist, folgt. Ein solches Folgen heißt ein Erfolgen und der erstere Zustand die Ursache, der zweite die Wirkung."
Da wir Menschen und alle anderen empirisch fassbaren "Dinge" vorhanden sind, ist von einem Bestreben der Natur auszugehen, diese erschaffen zu haben und, solange keine gegebener Grund eine Veränderung bewirkt, sie in ihrem Zustand erhalten zu wollen, was ich weiter oben schon als blinden und vernunftlosen Weltwillen dargestellt habe, der keinem höheren Bewusstsein entspringt.
Wenn ich noch einmal darüber nachdenke, sind der Mensch und alle anderen Lebewesen auf diesem Planeten wohl doch keine bloßen Zufallsprodukte, wie weiter oben von mir vorschnell bestätigt wurde, sondern vielmehr eine zwangsläufige Folge der gegebenen "Bedingungen" auf unserer Erde, also eine Wirkung, die auf eine Ursache erfolgt.
Zufall ist vielleicht, daß das Leben gerade diesen Planeten verseucht hat (s.o.).
Wenn es nicht so wäre, würden wir uns heute vielleicht auf einem anderen, ähnlichen Himmelskörper befinden und intellektuell auseinander setzen.

Zitat:
Ebenso die Entwicklung von "Bewußtsein": Als "Ichsimulation", die es dem Zellhaufen ermöglichte, sein Umwelt abgegrenzt - und damit exakter - wahrzunehmen, somit rascher und adäquater darauf (und darin) zu reagieren und sich so einen evolutionären Vorteil zu verschaffen, siehe auch: Geburt der Räuber...
Das ist mir schlicht zu simpel. Was soll denn eine "Ichsimulation" sein?
Wer will hier etwas simulieren und vor allem warum und für wen und welchen Nutzen erfüllt dies?

Doch nehmen wir einmal an, daß es sich so zugetragen hätte, dann fragt sich, was den Zellhaufen plötzlich bewog, seine Umwelt abzugrenzen, damit exakter wahrzunehmen und somit optimaler zu reagieren?
Welche Notwendigkeit bestand darin, sich plötzlich einen Vorteil verschaffen zu müssen?
Doch nicht etwa der Wille zum Überleben, also zur Existenz überhaupt?

Der Wille der Natur manifestiert sich in allen Dingen.
Will der Vogel etwa fliegen, weil er Flügel hat?
Nein, er hat Flügel, damit er fliegen kann.
Genau so verhält es sich mit dem Menschen.
Er besitzt ein hochentwickeltes Gehirn, damit er denken kann (oder dies zumindest glaubt ).
Schon Aristoteles sagte: "Die Natur schafft die Organe der Betätigung willen, aber nicht die Betätigung wegen der Organe."

Zitat:
Du weißt übrigens sehr wohl, wie ich das gemeint hatte, als ich schrieb, dass keineswegs "auf der Hand liege", dass "da noch irgendetwas sein müsse", nicht wahr. Da unterstellst du MIR nun, was du eingangs für dich selbst in Beschlag nahmst: Die Voraussetzung, über den Level gewisser "Missverständnisse" eigentlich schon hinaus zu sein.
Nun, du verwendest diese Aussage aber so missverständlich, daß sie impliziert, aus meinen Ausführungen Rückschlüsse auf ein höheres Bewusstsein entnehmen zu können.
Zumindest Grundkenntnisse der Kant'schen und Schopenhauer'schen Philosophien, sowie den platonischen Ideen hatte ich jetzt auf diesem Niveau der Diskussion schon unterstellt.
Und keines dieser drei Genies, sah sich im Stande, alles erklären zu können, denn es wird immer auch auf den metaphysischen Hintergrund verwiesen.


Zitat:
Natürlich gibt es noch viel zu erfahren, zu lernen, zu erforschen. Aber all dem, was wir "noch nicht wissen", nun gleich ein tieferes Wollen und Wirken zu unterstellen, finde ich nicht folgerichtig.
Das habe ich auch nicht getan, im Gegenteil sprach ich von einem blinden und vernunftlosen Willen, der hinter all dem Wirken steckt.

Zitat:
Was wir herausfinden werden, kann alles Mögliche sein, auch Banales, und muss nicht zwangsläufig den Weg zur Existenzerkenntnis einer "höheren Ordnung oder Willenskraft" ebnen - die vielleicht nie existiert hat.
Eine höhere Ordnung ist aber schon anzunehmen und ich betone, dies bitte nicht gleich zwangsläufig wieder als Vermutung für ein höheres Bewusstsein zu interpretieren.
Bei allem was wir bisher in Erfahrung gebracht haben, folgt alles Sein biotischer, wie abiotischer Art bestimmten Naturgesetzen (die wir sicherlich noch lange nicht alle kennen).

Da wir aber nicht einmal den Begriff "Natur" definieren können, außer mit der allgemeinen Aussage "alles nicht vom Menschen geschaffene", bleibt er eigentlich eine leere Phrase.
Weil aber nun alle Dinge entstanden sein müssen, die sich zum jetzigen Zeitpunkt im momentanen Zustand ihrer Existenz befinden und zwar genau so und nicht anders, kann man daraus schlussfolgern, daß dies einem logischen System zugrunde liegt, dem alles und jedes unterworfen bleibt.

Da dies aber noch längst nicht entschlüsselt ist, liegt es weiterhin auf der Hand, daß da noch "Irgendetwas" (wahrscheinlich sogar ganz vieles) sein muss, von dessen Existenz wir keinen blassen Schimmer haben.

Und der Mensch und sein Intellekt, wie überhaupt alle uns bekannten Lebewesen, sind Produkte dieses Systems und somit etwas ganz Natürliches, aus der Natur Hervorgegangenes, also keinesfalls etwas Zufälliges sondern real verwirklichte Möglichkeiten, die sich nicht allein auf elektrochemische (Selbsterhaltungs)Prozesse auf der Basis von Aminosäuren reduzieren lassen.

Die Natur hat also "erkannt", daß sowohl Wahrnehmungen, d.h. das in Kontakt treten individueller Wesen mit Hilfe ihrer Sinnesorgane mit der Welt, als auch die Fähigkeit der Verknüpfung abstrakter Vorstellungen, also das Denken, möglich sind und diese auch realisiert.

Somit gehört die Lebenskraft oder -energie zum absoluten Willen in der Natur und manifestiert sich in allen Lebewesen als der Wille zum Selbsterhalt und zur Fortpflanzung.

Sinn oder Zweck muss da nicht gegeben sein.


Liebe Grüße

Falderwald


PS:

Zitat:
Zitat von Immanuel Kant
„Die Ordnung und Regelmäßigkeit an den Erscheinungen, die wir Natur nennen, bringen wir selbst hinein, und würden sie auch nicht darin finden können, hätten wir sie nicht, oder die Natur unseres Gemüts ursprünglich hineingelegt.“
Zitat:
Zitat von Immanuel Kant
Die menschliche Vernunft hat das besondere Schicksal in einer Gattung ihrer Erkenntnisse: dass sie durch Fragen belästigt wird, die sie nicht abweisen kann, denn sie sind ihr durch die Natur der Vernunft selbst aufgegeben, die sie aber nicht beantworten kann; denn sie übersteigen alles Vermögen der menschlichen Vernunft.
__________________


Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine)



Falderwald ist offline   Mit Zitat antworten