Thema: Satyr
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Alt 15.01.2012, 12:22   #5
Stimme der Zeit
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Hallo, liebe Chavi,

auch ohne die vorhergehenden Kommentare dachte ich beim Lesen gleich an einen Traum, der sich (wie es in Träumen ja häufig geschieht) in einen Albtraum verwandelt. Diese Annahme fand ich dann "bestätigt".

Besser als Mandrillo könnte ich es nicht ausdrücken: Surreal und voller Gegensätze, so wirkt es auch auf mich.

Zitat:
Der Mond des Planeten umschwirrte mich heiß,
ich drehte mich mit auf der Bahn.
Im eisigen Frieren erahnte ich Schweiß,
im Lachen erblickte ich Wahn.
Mond-Planet, umschwirren-mitdrehen, (gedacht: kaltes Weltall)-heiß, eisiges Frieren-Schweiß, Lachen-Wahn. Ich kenne das aus Träumen, dass ich ein ganz bestimmtes "Bild" sehe, es (jetzt nur als reines Beispiel) als "weiß" identifiziere - aber im Traum gleichzeitig ganz sicher bin, dass es "schwarz" ist. Im Traum kann man etwas ganz deutlich sehen, aber gleichzeitig völlig sicher wissen, dass es das Gegenteil davon ist. Mir gefällt, dass hier ganz offen bleibt, wer da lacht. Obwohl es im Traum natürlich auch möglich ist, dass das LI sein eigenes Lachen selbst "sehen" kann. Allerdings kommt mir der Gedanke, dass hier eigentlich nur Gegensätze sind - nichts ist so, wie es scheint? (Was mich zum Ende von Strophe 3 führt.)

Zitat:
Zwei Lichter erschienen aus dunklem Geviert,
die Hand, die sie hielt, griff nach mir.
Ein glühendes Auge erstarrt und fixiert,
veränderte sich zum Satyr.
Wie in Träumen "ganz normal", wechseln die "Bilder". Hier zeigt sich die Surrealität deutlich, denn die "zwei Lichter" werden von "einer" Hand gehalten, die gleichzeitig nach dem LI greift. Das ist "Traum pur", denn dafür bräuchte es im "Wachen" wohl drei Hände. Aber im Traum ist das alles "logisch und normal". (Das kenne ich gut, es ist die Sorte Traum, bei der ich nach dem Aufwachen das "Bedürfnis" nach einem "Hä?" habe. Aber Albträume, so wie hier, kenne ich nicht mehr. Nur Träume, die ich nach dem Aufwachen als "sonderbar" ansehe. Das liegt daran, dass ich seit einigen Jahren nur noch "klarträume", d. h. ich weiß im Traum, dass es nur ein Traum ist und, wenn mir etwas nicht gefällt, "steuere" ich ihn dahingehend, dass er eine andere (gewollte, erwünschte) Richtung nimmt. Da ich "weiß", dass der Traum "nicht echt" ist, habe ich auch keine Angst. )

Das "glühende Auge" verwandelt sich in einen Satyr - das ist "typisch Traum", dass ein "Bild" plötzlich wechselt. Was in einem Traum "ganz normal" erscheint und einen überhaupt nicht "wundert", es ist einfach so. Hier bestätigt sich meine Annahme, dass es wohl ein Albtraum ist, denn zuerst wird das LI von einem "glühenden Auge" angestarrt und fixiert, worauf sich ein Satyr manifestiert - also die "Bedrohung" sich zeigt.

Zitat:
Mein Lachen erstarb und ich wähnte mich tot,
gelähmt lag ich nieder und schwieg.
Von draußen kam zögernd das Morgenrot
und mit ihm der nahende Krieg.
In dieser Strophe muss ich bei den ersten beiden Versen meine Vorstellungskraft zu Hilfe nehmen, ich träumte so etwas tatsächlich noch nie. Hier herrscht wieder Gegensätzlichkeit, denn das LI träumt, dass es tot ist - und gleichzeitig nimmt es das (wozu man ja "lebendig" sein muss) selbst wahr. Aber es kann nichts tun, nicht handeln, nur schweigen - es ist ja "tot" und daher "gelähmt".

Die beiden letzten Verse deute ich als das beginnende Erwachen des LI. Das "zögernde Morgenrot" sehe ich als den Wunsch, das Aufwachen trotz der Bedrohlichkeit des Traums noch hinauszögern zu können. Offenbar wartet nämlich ein "nahender Krieg". Es gibt also Lebensumstände, die das LI bis in die Träume verfolgen und solche Träume verursachen, was zugleich auch den Wunsch hervorruft, weiter träumen zu können. Das wiederum lässt mich annehmen, dass das LI die Wirklichkeit schlimmer einstuft als diesen Albtraum.

Ich kann natürlich nicht sagen, ob meine Interpretation irgendwie "stimmig" ist oder "danebenliegt", aber das waren die Eindrücke, die ich beim Lesen "empfing".

Formal finde ich zwei Stellen interessant:

Zitat:
die Hand, die sie hielt, griff nach mir.
Der daktylische Takt sagt mir: "griff" ist unbetont. Aber ich möchte es unwillkürlich betonen - was kein "Regelverstoß" ist, da es nach einem Interpunktionszeichen steht. Es sind also beide Betonungsarten möglich.

Zitat:
Von draußen kam zögernd das Morgenrot
Ich denke, hier steht "Morgenrot" als "Übergang", der sich auch in der Betonung zeigt.

Das Versmaß besteht sonst aus vier- und dreihebigen Daktylen mit Auftakt und durchgehend männlichen Kadenzen. Da es, abgesehen von den beiden angeführten Stellen, ganz "sauber" durchgezogen ist, sehe ich diese als bewusste, dem Inhalt entsprechende, Absicht an. (Es passt auch sehr gut, um das zu erwähnen. )

Mir bleibt nur zu sagen, dass ich es sowohl gut geschrieben als auch interessant finde. Es gefällt mir wirklich.

Sehr gerne gelesen und kommentiert.

Liebe Grüße

Stimme
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