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Alt 28.12.2011, 11:09   #3
Stimme der Zeit
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Hallo, wüstenvogel,

ich verstehe, was du mit deinen Versen sagen möchtest. Und ich verstehe, was fee mit ihrem Kommentar sagen möchte. Es ist sehr schwierig, fast unmöglich, die Frage: Was ist Kunst? zu beantworten.

Zitat:
Zitat von wüstenvogel:
Viel zu oft
mühsames Orientieren
in Wort-Stein-Brüchen
häufig in Gefahr
sich zu verlieren
in nichtssagenden Begriffen
die nichts mehr be-greifen
berühren
beschreiben
nur noch als steinerne Worte
durch die Zeilen treiben.
Kunst liegt im Auge des Betrachters - so lautet ein geflügeltes Wort. Das ist auch ein wahres Wort. Wir definieren das verschieden, was nur natürlich ist, denn es ist, wie ich auch schon an anderer Stelle schrieb - "Geschmackssache". Allerdings (auch das ist nur meine persönliche Ansicht) denke ich, dass hier stärker differenziert werden sollte. Ich kann nicht für andere sprechen, nur meine Sicht der Dinge darstellen. Was versteht also Stimme der Zeit unter Kunst?

Kunst kommt von Können, nicht von Wollen, sonst hieße sie Wunst. Ich verstehe unter dem Begriff "Kunsthandwerk" vielleicht etwas anderes als "üblich". Kunst + Handwerk. Ich bin sicher, dass es viele Menschen mit einem Talent, einer Begabung für das Künstlerische gibt. Nun macht aber ein Talent allein - so denke ich - noch keinen Künstler. Handwerk allein ebenfalls nicht. (Und, es gibt auch Menschen, die für die von ihnen gewählte Kunstrichtung gar kein Talent haben, aber trotzdem darauf bestehen; das ist ein weites Feld.) Ich beispielsweise male grottenschlecht, mir fehlt jedes Talent dafür, denn es mangelt mir an "Gefühl" für Farben, am "Gespür" für optische Umsetzung von etwas Vorgestelltem und ich habe, trotz Versuchen, noch nie eine Perspektive "richtig hinbekommen" - daher lasse ich es auch. Ich habe auch versucht, zu lernen (ein Kurs), aber ich kann das, was ich mir vorstelle, gestalterisch nicht "umsetzen", diese Fähigkeit besitze ich ganz einfach nicht. Was ich damit sagen will: Ich könnte sicher das reine "Malhandwerk" lernen - aber wäre trotzdem nicht in der Lage, zu malen.

Andersherum. Was ist ein Talent, ohne das "handwerkliche Können"? Stellen wir uns vor, Goethe wäre auf einem Bauernhof aufgewachsen, ohne je lesen oder schreiben gelernt zu haben. Sein Talent wäre "brachliegendes Land" gewesen. Und, nicht zu vergessen: Um ein Werk wie "Faust" zu schreiben, erfordert es noch weit mehr "Können" - durch ein "Wissen", das Lesen und Schreiben alleine auch nicht ermöglicht hätten. Auch ein Kunstmaler (ganz neutral, völlig ohne Wertung) muss wissen, wo bei einem Pinsel "vorne und hinten" ist, ganz drastisch ausgedrückt.

Ein Talent ohne Können oder Können ohne Talent - das funktioniert einfach nicht. Erst, wenn beides zusammenkommt, entsteht Kunst. Und ich kann auch Kunst in Werken sehen, die mir überhaupt nicht gefallen oder die ich überhaupt nicht "verstehe". Ein Beispiel: Wenn ich Tomaten auf eine Leinwand werfe, ist das keine Kunst. Dafür brauche ich kein Talent, nur Hände und Arme; und außerdem ist das etwas, das schlicht jeder kann, der ebenfalls Hände und Arme hat. Für mich ist Kunst etwas, das eben nicht jeder kann.

Das gilt selbstverständlich für mich auch für das Schreiben von Gedichten. Was mir (ganz persönlich!) beim Lesen oft "zu schaffen macht" (und mich auch wütend machen kann), das ist die Tatsache, dass ich manches Mal in den von mir bereits erwähnten "Tagebucheinträgen" schöne, lyrische Formulierungen finde; Stellen, die "poetisch" sind - und der/die Betreffende hat "null Bock", das "Handwerk" zu lernen. Ein Talent, das "vergeudet" ist. Andersherum gibt es reine "Handwerker", die - ohne jede Poesie, ohne lyrisches "Empfinden" - Werke schreiben, die metrisch fehlerlos sind, aber "leer", nur "Form", kein "Inhalt". Letztere schreiben und schreiben und schreiben (manchmal buchstäblich täglich ein Machwerk), seit Jahren, aber es "entwickelt" sich nichts weiter - es fehlt das Talent. (Da gilt: Eins wie das andere - hat man eines gelesen, hat man alle gelesen.) Daher auch meine Meinung: Kunst ist immer "beides", es kann gar nicht anders sein. Das Talent benötigt (erlerntes, geübtes) Können - und das Können benötigt ein Talent. (Ganz neutral, ohne einen "Größenmaßstab" anzulegen, nur als reines "Prinzip".)

Zitat:
Bedeutet "dichten" heute
so lange zu ver-dicht-en
bis alle Worte
nach außen
und nach innen
abge-dicht-et
er-starr-t
ver-fest-igt sind
zu Blumen aus Stein
ohne jede Beziehung
zum lebendigen Sein?
Was du hier beschreibst, ist (meines Erachtens nach) ein Können ohne Talent. Kunst macht es möglich, dass "Blumen aus Stein" lebendig werden. Es braucht den "lebendigen Funken", der aus einer Schreib- oder Maltechnik Kunst macht. Ich kommentierte mal vor einiger Zeit ein Gedicht (ja, ein Gedicht ), dessen Inhalt mir überhaupt nicht "zusagte", weder die Aussage noch die Wortwahl - aber es war ein Gedicht, denn es "lebte" und zeigte sehr viel Können. Das schrieb ich auch - ein sehr gutes, gelungenes Gedicht. Obwohl es mir wirklich nicht gefiel - das ändert nichts daran. Dass es nicht "mein Geschmack" ist, ist ja nur "meine Sache" und hat mit der Tatsache, dass es ein sehr gutes, talentiert und gekonnt geschriebenes Gedicht ist, nichts zu tun.

Zitat:
Oder soll Dichtung
auch
noch immer
anregen
bewegen
anrühren
ergreifen
Brücken schlagen
Gedanken
Gefühle
Eindrücke
Stimmungen ausdrücken
den Menschen
die Natur
das Leben
in den Mittelpunkt rücken?
Das ist das, was ich mit "lieblos hingeklatscht" meine. Es gibt Texte, die mir nichts sagen und mich nicht berühren - ich würde sie durchaus als "leblos" bezeichnen. Selbst wenn darin noch so viele "starke" Worte stehen.

Ich liebe dich, weil
Liebe
so
toll
ist.

Und wenn du mich auch
liebst,
dann
freut
mich das.

(Das habe ich gerade schnell selbst geschrieben.)

Hier gibt es 2x Liebe, 1x liebst, 1x toll und 1x freut. Das "weckt" in mir aber keinerlei "Empfindung" - es ist nur ein "lebloser" Text, es sind nur Worte. Für mich die per SMS übermittelte Erklärung eines Jungen an ein Mädchen, das er gerne zur Freundin hätte. Und es wird "danebengehen", weil er nicht schreibt, dass er das Mädchen toll findet und "Strophe" 2 so enthusiastisch klingt wie ein "Mhm, jaja." ... Und ich bezweifle, dass er sich Mühe gegeben oder sich Gedanken gemacht hat, was er schreibt - der "erfundene Junge" schreibt, dass er die "Liebe toll findet" - also, wenn ich das Mädchen wäre - ()

Als "Dritte" kann ich nur meine eigene Ansicht mit einbringen, ohne Anspruch auf deren "Gültigkeit", denn jeder kann und darf alles ganz anders sehen. Und, wenn auch nicht in allen Punkten gleichermaßen, stimme ich sowohl dir als auch fee zu.

Gerne gelesen und kommentiert.

Liebe Grüße

Stimme
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Geändert von Stimme der Zeit (28.12.2011 um 11:20 Uhr) Grund: Kleine Ergänzung.
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