Thema: Begegnung
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Alt 09.06.2014, 17:31   #5
Falderwald
Lyrische Emotion
 
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Moin Sid,

zunächst dachte ich an einen Traum, doch beim zweiten Lesen wusste ich, dass es nicht so einfach ist.

Den Schlüssel zum Text glaube ich am Ende der dritten Strophe gefunden zu haben: "nur noch ein Schritt, doch halt ich inne."

In der ersten Strophe steht eine Person des nachts (im Neonlicht) alleine und im Nebel frierend auf dem Bahnsteig.

In S2 kündigt sich der durchfahrende Zug erst an, dann erscheint er aus der Dunkelheit heraus.

In S3 rattert der Zug am Protagonisten vorbei. Während im Flackerschein aus den beleuchteten Abteilen die müden Sinne verwirrt werden und der Protagonist das eintönige Rollen der Räder vernimmt, weiß er, dass ihn nur noch ein Schritt von seinem Ziel trennt, doch irgendetwas lässt ihn innehalten, ihn auszuführen.

Es sind in S4 wohl die Gesichter der Lebenden, die er durch die Fenster des vorbeirasenden Zuges für einen winzigen Moment erblickt, und die ihn beim Namen zu rufen scheinen, was ihn seine geplante Tat nicht ausführen lässt.

In S5 ist der Zug endlich vorüber und verschwindet wieder in der Dunkelheit. Ein loses Zeitungsblatt wurde in seinem Luftstrom erfasst, aufgewirbelt und sinkt nun auf die Gleise nieder.
Der Protagonist wird sich seiner selbst wieder bewusst und hört in der Ferne nur noch ein fernes und leises Singen, vielleicht das Sirren des sich entfernenden Zuges.

Ich sehe hier also jemanden, der mit der Absicht zum Suizid zum Bahnsteig gekommen ist, diese Tat aber letztendlich nicht ausführen konnte und (zumindest vorerst) wieder ins Leben zurückgekehrt ist.


Gerne gelesen und kommentiert...


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald
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Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine)



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