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Alt 13.12.2009, 09:06   #63
a.c.larin
Erfahrener Eiland-Dichter
 
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Die stillste Zeit im Jahr

Ka - rumms! Knallt doch nicht immer so mit denTüren, Kinder!
Da verschlucke ich mich ja glatt noch, hier beim Fressnapf!
Katzenohren sind überaus empfindlich. Und jetzt geht offenbar wieder eine neue Streiterei los da oben. Frauchen saust schon hinauf ins obere Stockwerk, wo man bereits Tommy brüllen hört: "Du blöde Ziege, du! Du hast dir etwas aus meinem Adventkalender heraus genommen!" Tschung! Jetzt wird offenbar eine andere Türe aufgerissen. Der heulende Aufschrei könnte von Nina sein: "Ist nicht wahr, du lügst doch!" Getrampel, Gerangel, Geschimpfe - pitsch, patsch! Und nun - betretenes Schweigen. Dann leises Schluchzen und Frauchens ärgerlich ermahnende Stimme: "Werdet ihr wohl mal wieder zur Vernunft kommen, ihr beiden?"
Das weniger. Augenblicks schreien sie alle drei wild durcheinander! Hört man aber nicht mehr, denn der Lärm von oben geht im Aufheulen des Handmixers unter, den Herrchen soeben wieder in Gang gekriegt hat. Dafür tönt aus dem Musikkasten in der Küche süßlich leise untermalend: Das ist die stillste Zeit im Jahr....
Soviel Stille verursacht ja Gehörsschäden! Hoffentlich ists wenigstens im Wohnzimmer etwas erträglicher. Es wundert mich überhaupt, dass Herrchen heute wieder die Küche betreten hat. Letzens hat er doch behauptet, er würde das so bald nicht wieder tun. Aber vielleicht war er auch nur ärgerlich gewesen, wegen der angesengten Pfote.
Dabei fing doch auch diese Sache eigentlich ganz harmlos an, zumindest war das so bis zu dem Zeitpunkt, als Frauchen beschloss, das Küchenfenster zu putzen.....

Herrrchen saß gerade am Küchentisch und studierte die Tageszeitung, als Frauchen laut scheppernd den Kübel mit Putzsachen aus dem Vorzimmerschrank holte. "Was, jetzt - mitten im Dezember?" fragte sie Herrchen etwas ungläubig. "Ist das nicht irgendwie übertrieben?" Frauchen fauchte ihn nur empört an, so, als hätte er gerade die dümmste Frage der Welt gestellt: "Soll ich vielleicht ausgerechnet zu Weihnachten durch diesen Dreck gucken müssen, Paul?" Dabei zeigte sie mit vorwurfsvoll erhobenem Zeigefinger auf das schmutzige Küchenfenster, das seinerseits jedoch keinerlei Anstalten machte, sich ob der Anschuldigungen gehörig zu schämen. Mehrere Generationen von Obstfliegen hatten sich offenbar redlich bemüht, die Spuren ihrer Existenz an der Scheibe zu hinterlassen, nun sollten also auch diese Frauchens vorweihnachtlichem Vernichtungswerk anheim fallen.
"Und außerdem habe ich gerade etwas Zeit. Die Kekse im Backrohr dauern noch ne Weile. Hol mir doch gleich mal die Leiter aus dem Keller". Während sich Herrchen leise murrend entfernte ("Für wie viele Weihnachten auf einmal backen wir denn eigentlich?"), betrachtete Frauchen mit feindseligen Blicken das corpus delicti. Rasch räumte sie die dort befindlichen Blumen -und Kräutertöpfe zur Seite und befüllte den Putzkübel mit heißem Wasser.

Für mich war es Zeit, mich ein wenig zu entfernen. Ihr wisst ja: Wasser ist nicht so mein Ding. Ich machte es mir statt dessen auf dem Vorzimmerteppich gemütlich, von wo aus ich die Vorgänge in der Küche auch weiterhin gut beobachten konnte.
Mir persönlich ist der Zwang, aus dem Fenster gucken zu müssen ja nicht unbedingt nachvollziehbar. Manchmal kanns allerdings wirklich interessant sein. Im Frühjahr zum Beispiel, wenn die Jungvögel ihre Nester verlassen und das Küchenfensterbrett als Zwischenlandeplatz für ihre ersten Flugversuche anpeilen, dann find ichs ja auch sehr anregend. Könnte dann jedes Mal vergehen vor Faszination - aber jetzt? Die meiste Zeit ist draußen gar nichts los. Den Schneeflocken beim Runterfallen zuzugucken hat bestenfalls etwas Einschäferndes, Meditatives an sich. Mrruuuuuuau! Das wäre allerdings genau das Richtige, wenn meine Leute bloß nicht immerzu herum rumoren müssten....
Ich räkelte mich behaglich auf dem Vorzimmerteppich, während aus dem Keller ein leises Scheppern kam. Herrchen hatte wohl endlich die gut verstaute Leiter frei bekommen. Klirr! Tschinn! Ich schreckte hoch und hörte ihn bereits "Diese verdammte Mistleiter!" rufen.
Frauchen in der Küche hielt kurz inne, schüttelte den Kopf und verdrehte die Augen. "Der Mann im Haus ersetzt die Axt," murmelte sie halblaut vor sich hin. Schließlich erschien Herrchen mit der Aluleiter in der Kellertüre. "Welche Marmelade war es diesmal?" fragte ihn Frauchen etwas frostig. Ohne die Antwort abzuwarten, nahm sie ihm die Leiter ab und drückte ihm dafür Schaufel und Putzlappen in die Hand. Ich bedauerte, dass die herrlichen Fischdosen, welche dort unten auch auf dem Regal stehen, so unzerbrechlich sind. Wenn von denen eine zu Bruch gegangen wäre, hätte ich ihm bei der Beseitigung des Schadens sicher helfen können!
In Gedanken sah ich mich bereits im Kellerraum hocken, inmitten von herrlicher duftender Fischsoße, die ich vom Boden ableckte. Hmmmm! Einfach köstlich!
Mittlerweile kam Herrchen mit den Resten des Marmeladenglases aus dem Keller. "Kannst du mir noch schnell die Vorhänge abnehmen?" fragte ihn Frauchen, nun schon wieder weitaus versöhnlicher geworden "Wieso klingst du immer so freundlich, wenn du von mir was willst?" antwortete er und kniff sie dabei hinten rein. "He, lass das," kicherte sie, "Erst die Arbeit, dann das Vergnügen!" "Schlechte Einteilung, " murmelte er, stieg aber ganz artig auf die Aluleiter.
Er kletterte die paar Stufen hoch, um jene langen Stoffbahnen zu holen, die links und rechts neben dem Fenster an der Wand herab hängen. Wozu die Menschen so etwas brauchen, habe ich bislang nicht heraus finden können.
Wollte mal daran meine Krallen schärfen, aber: Verboten! Ganz streng verboten!
Auch die Pfoten darf man sich dran nicht abwischen. Dafür hat Tommy mal nen gehörigen Klaps von Frauchen bekommen. Ab und zu macht er es aber noch immer. Jetzt passt er aber auf, dass Frauchen nicht in der Nähe ist.

Während Herrchen mit dem Abmontieren des Vorhanges beschäftigt war, guckte Frauchen nach den Keksen. Die waren nun doch früher fertig geworden als geplant. Sie holte das Blech aus dem Ofen und stellte, weil sie wohl in der Eile keinen anderen Platz dafür fand, auf die Ablagefläche neben dem Fenster.
Gerade war auch Camillo von draußen herein gekommen und mauzte lautstark nach seinem Futter. Umzingelt von Beinen und Gerätschaften war er wohl ein wenig irritiert. Außerdem musste ihn der Hunger beträchtlich quälen, kein Wunder, denn ein Hofspaziergang bei diesen Temperaturen macht auch mir gewaltigen Appetit!
Als er den in Herrchens Händen herumflatternden Vorhang entdeckte, war sein Jagdinstinkt sofort geweckt!
Mit einem Satz sprang er auf die unterste Leiterstufe - und mit zwei, drei weiteren krallte er sich von hinten an Herrchens Hosenbein hoch.
Der Kleine muss schon ziemlich lange Krallen haben! Herrchen war jedenfalls auf diese überraschende Attacke nicht gefasst. Er erschrak so sehr, dass ihm der Vorhang aus der Hand rutschte und im Schüsselchen mit der Katzenmilch landete. Welch bedauerlicher Jammer! Durch den plötzlichen Ruck neigte sich die Leiter zu linken Seite und Herrchen kippte nach rechts weg. Er wollte zwar rasch absteigen, aber wegen der Höhe, auf der er sich befand, wurde es mehr zu einem etwas missglückten Kurzflug. Sich ausgerechnet das heiße Backbleck als Landeplatz auszusuchen hielt ich aber gleich für keine besonders gute Idee.
Frauchen packte gerade noch rechtzeitig die Leiter, bevor sie zur Gänze umfiel, während Herrchen geräuschvoll (Oh meine armen, armen Katzenohren!) gegen die Küchenmöbel donnerte, wobei er sich , wie bereits gesagt, am heißen Keksblech festhielt. Die Kekse wirbelten in interessanten Pirouetten durch die Luft und Herrchen bewies jede Menge Phantasie im Entwickeln noch nie gehörter Kraftausdrücke.
Camillo erschrak gewaltig und flüchtete unter die Küchenbank, und ich beschloss spontan, für eine Weile das Haus zu verlassen.
Die stillste Zeit im Jahr war mir eindeutig zu anstrengend. Dann schon lieber den Schneeflocken zugucken, wie sie draußen herumwirbeln, dachte ich.....


Wird fortgesetzt!

Geändert von a.c.larin (13.12.2009 um 11:02 Uhr)
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