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Alt 19.01.2012, 09:00   #2
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asphaltwaldwesen
 
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na puh, stimme,


das jahrbuch der lyrik 2011 scheint es ja für den narren (?) in sich zu haben...

ich habe - neugierig geworden - ein wenig nachgestöbert und diesen link hier gefunden (das jahrbuch selbst werd ich mir vermutlich jetzt doch auch bestellen - schon allein, um "mitreden" zu können ohne nur hörensagen oder vermutungen von mir zu geben):

w w w.poetenladen.de/theo-breuer-jahrbuch-lyrik-1979-2011.htm

da kam auch gleich das von chavali so geschätzte antpöhlersche "Ende März" vor, das anscheinend den 2011er band eröffnet. ich finde aber die ausführungen da (siehe link) sehr interessant und sehe es ev. mit anderen augen: das jahrbuch stellt eine bestandsaufnahme dar, ganz ohne bewertung oder auswahl außer nach dem kriterium der zeitgemäßheit. und die wiederum wird nicht bewusst ausgewählt - die bestimmt nun mal - ja - die (wenn auch kleine) masse derer, deren stil am prägnantesten als "jahrestypisch" hervorsticht.

ich glaube es ist wie in der malerei und den anderen bildenden kunstdisziplinen auch: spätestens seit in der moderne "anything goes" gilt und das experiment und sich-ausprobieren im ausdruck und in den mitteln, das brücken-schlagen zwischen disziplinen und traditionen, das "konzept" hinter dem werk die bühne für sich haben, weil der akademismus von den errungenschaften der technik (foto, multimedia,...) überholt wurde in seiner leistung des "abbildens" der welt an der oberfläche, hat sich in allen disziplinen eine andere herangehensweise an kunst entwickelt. sie wird individueller, noch weniger messbar und vor allem nicht mehr bewertbar außer für sich selbst. und selbst dann ist es nur der versuch einer einordnung, um fassen zu können, was da versucht wurde auszudrücken.

das wird - je nach vorlieben und "brillentönung" - für jeden anders ausfallen. um "gut" oder "schlecht" geht es schon lange nicht mehr.

ist es das, was der narr zwar spürt, aber anscheinend nicht erkennen kann? fühlt er sich dadurch so aussichtslos?

dein gedicht berührt mich insofern, als ich ja von berufs wegen weiß, wie schwer es fällt, zugang zu zeitgemäßen werken zu finden, die sich jeder bemessung entziehen. die in ihrer sprache, ihrem ausdruck fremd scheinen, mit uns spielen, ohne uns einzuweihen. in all dem wird es tatsächlich schwierig, zu unterscheiden, was "gut gemacht" ist oder schlecht. oft geht es auch gar nicht mehr darum. es geht nur noch um den dialog. und die bereitschaft dazu bleibt immer mehr dem betrachter überlassen.

kunst biedert sich nicht an. immer weniger. wenn man die kunstgeschichte gut kennt und die kulturhistorischen entwicklungen hinter den jeweiligen epochen und strömungen im großen, dann erkennt man, dass der kunst nur diese "rolle" bleibt, um sich abzugrenzen als solche. alles andere wird ja heute von maschinen weitaus "echter" abgebildet. was also soll kunst sonst versuchen, als das abzubilden, das eben nicht offensichtlich und an der oberfläche ablesbar ist? täte sie nicht, was sie heute tut, wäre ihre "ausnahmestellung" dahin. wie aber ist und bleibt man eine "ausnahme"?

eben.

ich sehe, dass sich dasselbe auch in der literatur vollzieht. akademismus ist nicht mehr zeitgemäß. die lyrik der generationen vor uns ist zeitlos schön und wird es auch bleiben. mozarts musik ist ja auch unberührt und unbestritten schön - auchnoch in heutigen tagen. doch musik wie seine wird auch heute nicht mehr neu geschrieben. vielleicht erklärt dieser vergleich, warum der narr zum einen einer ist und warum man aber zum anderen die trauer durchaus nachvollziehen kann.

ich denke aber, genau das ist die botschaft (oder erkenntnis), die sich im text hier ankündigt. ein leises ahnen. und der beginn eines abschieds eines traums - und auch das kann ich verstehen: denn das "schöne" im sinne vom gefälligen, lieblichen verliert tatsächlich in der kunst ihren platz und führt ein schattendasein.

aber es ist - ich weiß, ich wiederhole mich da - zeichen unserer zeit. und es ist gut, wenn wir das schöne hochhalten. es ist aber ein scheiterkonzept, wenn wir versuchen, es als aktuellen wert von vorrangigkeit zu propagieren.

der genuss von schönem ist heutzutage nicht mehr "fashionable". sogar kunst zu konsumieren wird zum sehen-und-gesehen-werden. eine bestimmte ausstellung oder galerie bevorzugt zu besuchen zum status-symbol. mit ehrlichem genuss hat es nur für die wenigsten zu tun. der kunstmarkt macht das allerdings auch schon lange nicht mehr möglich. kunst ist wertanlage, nichts anderes als eine aktie.

da das mit büchern nicht klappt, da sie in größerer zahl (und nicht einem original) aufliegen, kann lyrik oder herausragende literatur allgemein da nicht mitspielen. da seh ich den entscheidenden unterschied. lyrik zu lesen, gar zu schreiben und/oder zu schätzen spielt sich, seit es als erziehungsgut und standes-gemäßes benehmen nicht mehr bestandteil in unserer kultur ist, im verborgenen ab. lesungen sind gut besucht, wenn mehr als fünf leute im publikum sitzen. es ist schlicht und einfach nicht lukrativ - und da, genau da liegt der knackpunkt.

die qualität des geschriebenen ist aus diesem "mechanismus" nicht herauslösbar. auch foren verzerren m.E. den blick darauf, was gute lyrik ist. auch hier spielen ellenbogentechnik, unverfrorenheit im präsentieren der person des autors und der texte eine große rolle. angebot und nachfrage sowieso.

das jahrbuch der lyrik allerdings - was ich so anlesen konnte - finde ich nicht durchweg "schlecht". vielleicht kann ich daher nicht ganz nachvollziehen, was dich zum titel motiviert hat, liebe stimme.

auf jeden fall dringt aus deinen zeilen viel enttäuschung und angst, einem gespenst nachzujagen, das von keinem mehr erkannt wird, weil es mit jedem jahrbuch mehr und mehr verblasst. gern würd ich trösten und sagen, dass nur der narr erkannt hat... aber da wir alle narren sind, erkennt jeder für sich das, woran sein herz hängt. mit manchem davon steht man dann eher alleine da.

als künstlerisch denkender oder auch nur von seinem tun beseelter (wer bestimmt schon, wer sich "künstler" nennen darf?) tut man das fast immer.


liebe grüße,

deine fee
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"Gedichte sind Geschenke an die Aufmerksamen" Paul Celan

Geändert von fee (19.01.2012 um 09:04 Uhr)
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