Thema: Am Lagerfeuer
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Alt 03.06.2009, 11:54   #53
Ibiado
Erfahrener Eiland-Dichter
 
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Hallo, ihr Lieben, ich hock noch daneben und hab nach meiner Gewohnheit ein Weilchen zugehört, ohne dazwischenzureden. Tee hab ich immer dienstlich geschlürft, zu Hause nur Kaffee, jetzt mag ich eher den Roten, was mich mit dir, Dana, verbindet, vielleicht gar einen Zugang zu deiner slawischen Seele ermöglicht?
Bei „slawischer Seele“ fällt mir zuerst nicht Literatur ein, obwohl Jewtuschenko - „sauschwer zu lesen“ – doch ein gutes Beispiel ist. Auch Dostojewski fand ich einst sauschwer – und konnte dann mit dem „Idiot“ nicht mehr aufhören bis zur letzten Seite. Wer hat den russischen Roman so charakterisiert: „Sie liebt ihn nicht. Er liebt sie nicht. Sie kriegen sich auch nicht. Aber um das zu klären, brauchen sie 850 Seiten!“? (War’s George Bernard Shaw?)
„Russische Seele“ – da denke ich immer an Studentengefasel aus alter Zeit: Was sagt SIE am Morgen danach? Die Deutsche: Was denkst du jetzt von mir? Die Amerikanerin: Do you feel better now, darling? Die Wienerin: An Hunger hab i kriagt! Die Französin: Jetz muss isch mir die ’aare kämmen. – Und die Russin: Aber meine Seele kriegst du nie!
Bei „deutsche Seele“ hab ich zum einen die Vorstellung von Kadavergehorsam und mangeln-der Zivilcourage, in den Fünfzigern und Sechzigern gerne so beschrieben, zum anderen das Bild der Dichter und Denker, die im wirtschaftlichen Aufschwung ihre Seele verkauften. Schließlich Goethe, der Iphigenie das Land der Griechen „mit der Seele“ suchen lässt. Ich glaube, die deutsche Seele ist eine suchende Seele. Und eine Seele, die gesucht wird. Eine Seele voller Sehnsucht, gefunden zu werden. Vielleicht eine verlorene Seele. Eher aber ein sehr kostbarer Schatz, den man ganz selten noch hier und da spürt.
Die deutsche Seele liebt ihre Verwandten, ob slawisch, romanisch, jüdisch oder weltbürger-lich. Sie öffnet sich auch gerne Fremden und schließt Freundschaft mit Afrika, Fernost, Nah-ost, kann den Islam an sich rankommen lassen und den Buddhismus, ohne um ihre Selbster-haltung bangen zu müssen. Sie ist vielschichtig, weil ihre Wurzeln viele Erdschichten durch-dringen, und breit gefächert, weil weit verzweigt. Sie ist mit vielerlei Humor beschenkt, ob-wohl man den Deutschen vorwirft, keinen zu haben.
Die slawische Seele ist, glaube ich, ähnlich unfassbar wie die deutsche. Vielleicht ist sie gar zuweilen als die zweite Seele in der deutschen Brust anzutreffen? Jedenfalls sind slawische und deutsche Seele Geschwister, wollen sich voneinander unterscheiden, suchen Abgrenzung, aber Hand in Hand. Beneiden sich und lieben, was beim Anderen stärker ist: Gefühlsreichtum – Verstandeskraft.
Ich nehm jetzt auch gerne mal eine Tasse Tee.
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