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Alt 06.02.2018, 09:26   #1
Eisenvorhang
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Standard Bei Sonnenuntergang

I - sole occidente

Du siehst zu mir und weißt du wirst bald sterben.
Mir drängt sich ein Verdacht, der leisen Nacht.
Und aus der Ferne fließt ein buntes Werben,
das in der Seele meiner Sinne wacht
und alles ist wie eingesenkt und ruht
und hofft auf ein Erwachen, wie ein alter
vergessener mir lieber Freund, der auf
den nächsten langen Brief ersehnlichst wartend,
von tiefer Freundschaft lächelnd träumt.

Und wenn du gehst und schwach der Reise bist:
mir dienend fällt die Nacht Dir auf den Rücken
und streckst die Hand nach mir, die müde ist -
im bunten Strahlen stirbt mir dein Entzücken.
Und jedes Tageslicht färbt sich zu Blut,
das mich mit einem sanften Kuss und kalter
Beruhigung in die Nacht einpflegt. Der Lauf,
den Du mit mir vollbringst, die Wucht, die sehnend,
so zart mich nimmt und mir das Dunkle säumt.

II - conticescere

Wie stumm und laut du meine Welt ergänzt.
Und schlägst mir regungslos mit breiten Händen
zwei große Löcher in die Seelenenden.
Das eine schweigt, das andere das glänzt.

Ich bin Dir gut und streichel dich mit Liebe
wie eine Mutter, die ihr Kind umsorgt,
das sterbenskrank ist und dem Todestriebe
entgegenlebt und sich nun Hoffnung borgt.

Mein Blick, der zieht zur alten Fensterbank
und eingetrübt ist mir der Lebensblick,
es scheint, als würde meine Seele krank
und alles zöge sich in mir zurück.

Und im Verdämmern nimmt ein Schein die Flucht,
der zwischen Häusern einsam Nähe sucht
und dort verharrend, steif und angsterfüllt,
die Nacht im Dunst, in Ewigkeit umhüllt.

Und was nicht ganz mich heut erreichen kann,
wie das, was Liebe ward und wieder schied,
wie Tod und Leben durch die Welten sann.
Dies wird zum Loch, es wird zu Schmuck, zum Lied.

Sei Dir gewahr, wenn sich die Welten teilen
und jedes Stürmen gegen Herzen bebt.
Das Leben wird sich um Dich windend feilen,
bis sich ein Leergewordenes erhebt.

Geändert von Eisenvorhang (06.02.2018 um 20:06 Uhr)
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