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Alt 29.03.2017, 13:13   #4
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Hi Thomas!

Sehr gut argumentiert! Ich, der auch schon Herz auf Schmerz reimte, ohne mit der Wimper zu zucken, bin ganz bei dir!

Du hast es wunderbar ausgeführt, warum so manches in der Lyrik heute falsch läuft! Als in der Moderne die Malerei abstrakt wurde, waren die klassischen Landschaftsbilder, die Szenerien der alten Meister, ja selbst bis hin zu den Impressionisten, lange Zeit geradezu verpönt. Man nannte sie "alte Schinken in Essig und Öl", bieder, altbacken, überholt durch Fotokunst und vieles mehr.

Heute werden sie wieder hoch geschätzt und noch höher bezahlt! Dieser Schritt steht uns in der Lyrik wohl noch bevor: Das Altherbebrachte des Reimgedichts, der schönen Sprache um ihrer selbst willen, die hypnotische Verführung des Verstaktes zum inneren Tanz mit den Bildern - all dies gilt der "Avantgarde" heutiger Lyrik immer noch als abgegriffen und verstaubt. In ihrer elitären und weltfernen Sicht haben sie noch nicht begriffen, wie weit sie sich von dem entfernt haben, was Lyrik im Innersten ausmacht und wozu sie überhaupt erfunden wurde!
Es erinnert mich an die "moderne" Klassik: Ab Mitte des 20. Jhdts wurde die Klassik atonal und arhythmisch, erinnert heute eher an Fabrikshallenlärm mit Konzertinstrumenten, betrieben von einer Handvoll völlig abgehobener Durchgeistigter, die Musik auf einem Level zu begreifen scheinen, der uns Normalsterblichen völlig verschlossen bleibt. Dementsprechend fade bis belästigend werden solche modernen Konzerte denn auch empfunden, selbst von jenem Publikum, das sich betont "kulturell bis intellektuell" geben möchte, um sich so über die "Plebs" der Kleingeister zu erheben - auch wenn dieses Publikum es niemals zugeben würde.

Sollen die Herren Sprachexperimentatoren doch weiterkrächzen in ihren Elfenbeintürmen entuferter Hirnwixerei, genau wie die modernen Klassiker und die Konzeptkünstler! Wir schreiben, wie es UNS gefällt, malen die Bilder, die UNS das Herz wärmen, auch wenn wir nie einen Preis dafür bekommen werden (was natürlich nie das Ziel war!).

DAS ist Kunst - die Kunst, am Boden zu bleiben! - "Staying grounded", wie es der Engländer sagt, was es noch besser ausdrückt: Geerdet bleiben!

LG, eKy
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