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Alt 27.06.2014, 22:06   #1
Falderwald
Lyrische Emotion
 
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Registriert seit: 07.02.2009
Ort: Inselstadt Ratzeburg
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Standard Der alte Gartengeist




Der alte Gartengeist


Wenn hinter Ates Schloss im Totengarten
sich etwas regt zur Vollmondmitternacht
und schemenhaft in freudigem Erwarten
zu gaukelhafter Existenz erwacht,
wenn Nebelschwaden jede Sicht verschleiern,
um eines Spukes Zwangsgeburt zu feiern,
wenn alle Wirklichkeit im Licht vereist,
dann kommt der Geist, der alte Blendergeist.
Die Kette klirrt. Die morschen Knochen knacken.
Ein Stöhnen hallt. Es schlottert das Gebein.
Die Haare sträuben sich bis hin zum Nacken
und eine Wahnvorstellung stellt sich ein.

Wenn hinter den diffusen Illusionen
ein Greis auf jener Bühne Tango tanzt,
noch während er mit ranzigen Zitronen
jongliert, die man für ihn dort angepflanzt
ganz heimlich hatte, wenn in seinen Dialogen
die Wahrheit klingt, als sei sie arg verbogen,
wenn dieser sich gar als Gerechter preist,
dann ist's der Geist, der alte Lügengeist.
Die Kette reißt. Die morschen Knochen klappern.
Ein Stöhnen seufzt. Es glimmert das Gebein.
Und monoton vernetzt sein stetes Plappern
sich immer tiefer in den Trug hinein.

Wenn schließlich wieder leiernd eine Predigt
gehalten wird vor großem Publikum,
in welcher man sich jeder Schuld entledigt,
wenn man ganz ahnungslos sich gibt und dumm
den Dingen gegenüber, die geschehen,
wenn alle, die es sehen, doch nicht sehen,
dass man sie mit Vergnügen nur bescheißt,
dann lacht der Geist, der alte Gartengeist.
Die Kette glüht. Die morschen Knochen rappeln.
Ein Tönen stöhnt. Es blubbert im Gebein.
Er lässt im Lügennetz die Leute zappeln
und glaubt der Geist von Sanssouci zu sein.


Falderwald
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Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine)



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