Thema: Vertrauen
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Alt 03.01.2010, 12:07   #1
Ibrahim
Verstorbener Eiland-Dichter
 
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Standard Vertrauen

Es war in Damaskus, 1989, an einem Sonntag so um die Mittagszeit und ich hatte Hunger, meine Frau auch. Für den Besuch eines Restaurants fehlte uns die Zeit, vermutlich auch das Geld, aber da kann ich mich nicht mehr so genau erinnern. Also musste Proviant bei einem der vielen Krämer (man sagt dort wohl Onkel Yussuf Laden dazu), die in der syrischen Hauptstadt früher an jeder Straßenecke zu finden waren, ausgefasst werden. Bei so einem Bakkali konnte man billigst Brot, Milch, Käse, Schuhbänder, Batterien, Wanzentod, also alles, was man für einen gelungenen Tag brauchte, erwerben.

Meine Frau ging voran, ich hinten nach, wie wir es im Orient immer praktizieren, um die Dinge auch hier ins Lot zu rücken. Meine Frau begann auch gleich mit der Aufzählung der benötigten, des Hungers wegen sehnlichst erwarteten Lebens- und Überlebensmittel.

Der gute Mann hinter dem Ladentisch, ungefähr zwei Meter lang (der Ladentisch, nicht der Mann), wandte sich in typischer levantinischer Überheblichkeit mir zu und bat mich, doch für eine Minute den Laden zu hüten, er hätte nämlich eine Besorgung zu machen. Unser Erstaunen war nicht gering, als der Bakkali tatsächlich seinem Miniaturbasar entschlüpfte und uns allein als Hüter seiner Kostbarkeiten zurück ließ.

Das Türglöckchen schellte, eine Frau kam, suchte und bestellte. Es war nicht viel. Ein Strutzen Brot und etwas abgepackten Käse. Offensichtlich kannte sie die Preise, denn sie legte einige Münzen auf den Tisch und verabschiedete sich mit einem herzlichen ma’assalama. Es kamen in der folgenden Stunde noch viele Kunden. Wir brachten Salat, Tomaten, Süßkartoffel, Melonen an den Mann und an die Frau und ein paar Zuckerl auch an zwei Kinder.

Versteht sich unter Leuten von Welt von selbst, dass wir als Entgelt für unsere
Tätigkeit unsere Bestellung nicht bezahlen mussten. Ja, diese arabischen Levantiner sind nicht nur Gentlemen, sondern verkörpern auch all das, was wir ihnen gegenüber nicht aufbringen wollen.
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Ich will mit meinen Reimen die Leute zum Schmunzeln, Weinen oder Fluchen bringen.
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