Thema: Foren-Dichter
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Alt 17.10.2015, 17:45   #24
Agneta
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Lieber Falder,

ich möchte mich bedanken für deine lange und ausführliche Einlassung, die mich freut.

Da es ja vornehmlich um die Metrik geht, die wir hier in bereits höheren Sphären besprechen, möchte ich auch gleich darauf kommen.
Ein Gedicht ist ein Gesamtkonzept und vorzugsweise sollte eine Metrum den Sinn des Werkes unterstützen. Es ist also kein Zufall, weshalb dieses Gedicht genau diese Metrikform hat.
Du bezeichnest es als Amphybrachis. Ich schreibe immer von 4 Metrikformen,da die anderen auch als Spielformen angesehen werden können. Und weil es den meisten Lesern schon schwer fällt, zwischen Daktylus und Anapäst zu unterscheiden.
Der Amphybrachis kann durchaus auch wie ich es weiter oben schon sagte als anapästisch gelesen werden also als jambischer Vortakt mit einem folgenden Anapäst und genau das haben wir hier.
Warum wird so was gemacht? Um zu verlangsamen (Anapäst an sich) und Vortakt um zu akzentuieren.
Ich hätte auch schreiben können:
Was willst du lesen, guter Dichter? Jambus
Eine leierige unakzentuierte Form.

Doch lag mir daran, den Sinn des Werkes einen akzentuierten Metrikfuß mitzugeben.
Der Akzent liegt auf dem Fragenden!
Also auf den Fragen und den Fragewörtern.
Darum auch auf dem „was“ in Z. 1 und in dem monierten Satz:
„ und was kann von solch Anonymen dir bleiben ..
Läge es auf dem kann, wäre die Frage viel schwächer.


Ach, was willst du lesen, erhabener Dichter, X
in all jenen Foren, die machen zum Richter,
Verbrämtes von gestern, Vergrämtes von heut,
Verschämtes, Verträumtes, das Leben der Leut?

Was hält dich bei Laune, du Worteverschichter O
- der Nick in dem Forum hat viele Gesichter –
ein Scherzchen, ein Herzchen, ein Küsschen, ein Link,
ein fühlendes Wörtchen, ein flirtender Wink?

Was ist das, wenn Menschen sich namenlos schreiben O
und was kann von solch Anonymem dir bleiben? X
Ein Scherzchen, ein Herzchen und ein Kommentar,
meist bisschen geschönt, wenn du Glück hast, auch wahr.

Ach, was willst du lesen, dem Alltag enthoben, X
Verschrobenes, Kritisches oder nur Loben,
du Dichter, der wirbt jeden Tag mit dem Wort
und geht ohne Wort dennoch namenlos fort.


Bei den Mittelversen liegt die Betonung dann auf dem Verb, wie du richtig sagst. Natürlich hätte man das angleichen können. Warum? -Abwechslung.
Es wäre ja ein leichtes , dort ein Füllwort einzubringen_ „ was kann wohl( denn) von solch Anonymem dir bleiben. Gefällt mir aber nicht!

Das Ach, ist hier kein Stoss-Seufzer, hat hier keine tragende Kraft- es ist mehr eine leichte, ironische Einleitung, die selbst schon fragend daherkommt- ist nur Einleitung für die Fragen, die im Vordergrund stehen. Warum sollte es schwerer wiegen als „was“, zumal beide den Vokal a haben?
Die Betonung (auch die inhaltliche) liegt auf „was“ und das ist genau so gewollt.


Das Gedicht soll zum Nachdenken anregen und nicht einschläfern, dennoch aber Zeit um Nachdenken geben und nicht so „flüchtig“ sein wie der Jambus, das Fragende betonen. Stil, Metrum und Inhalt gehen also Hand in Hand!
Nicht die leierige Versform von das Wandern ist des Müllers Lust, sondern eine gewisse Spannung, die erzeugt wird durch die Gegenläufigkeit von normalem Akzent und Metrum, ohne dabei jedoch die natürliche Betonung zu verlieren !!
Nicht Unvermögen, wie mir hier unterstellt wurde, sondern eine dichterische Spielerei..


Natürlich möchte man immer zuerst in den Jambus, wenn man liest. Zumal in Daktylen oder Anapästen oder mit oder ohne Vortakte selten geschrieben wird.
Durch die Folgezeilen, Verbrämtes usw. wird doch sofort klar, dass wir hier keinen Jambus haben.

Versfüße haben ja eine gewisse Wirkung und darum haben wir ja 4, mit Amphybrachis und Spondäus auch mehr, aber es kompliziert das ganze nur. Und diese Wirkung sollte den Inhalt des Werkes unterstützen. Es ist ein Stilmittel.

Ebenso wie die Struktur des Werkes- hier durch die Wiederholung der ersten 2 Verse am Ende, durch die gleiche Anordnung der Kadenzen , durch die Binnenreime schämt, grämt, chen- was ins Lächerlich-satirische zieht. ( was ja offenbar niemand bemerkt hat).
Das Werk ist also durchaus strukturiert und die Dinge so eingesetzt wie es gewollt war, obwohl es sich immer noch um ein Alltagsgedicht handelt, kein literarisches Kunstwerk.
Als solches war es auch nicht angelegt.
Dennoch muss man ein Werk grundsätzlich in seinem Gesamtkonzept sehen , grade dann, wenn man Kritik anbringen möchte.
und das ist das, was mich geärgert hat bei deinen kritischen Vorkommentatoren.

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Inhaltlich ist es sicherlich so, dass man zu Frage stellenden Werken immer polarisierende Meinungen erhält. Dies ist ok. Darum möchte ich betonen, dass ich deine persönlichen Ansichten zum Inhalt und meinen Kommentare natürlich respektieren kann, auch wenn sie anders sind als meine.

Ich hoffe, ich konnte nun klar machen, worin mein Argwohn gegenüber der oberflächlichen Kritik bestand.
Meine spontane Entscheidung zum vorläufigen Rückzug war also kein Beleidigtsein wegen Kritik, sondern Beleidigtsein wegen zu kurz springender und nicht fundierter Kritik, die insistiert. ( Wolos möchte ich mal wirklich unkommentiert lassen…)


Ich hoffe, ich konnte meine Sichtweise mit obigen Ausführungen klar machen.
Dennoch freue ich mich, dass du Falder, mich nun doch noch einmal mit deinem Kommentar dazu animiert hast, etwas tiefer in die Materie einzusteigen.
LG von Agneta