Thema: Am Lagerfeuer
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Alt 23.04.2011, 14:17   #86
Falderwald
Lyrische Emotion
 
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Guten Morgen larin,

theoretisch und mit gutem Willen würde ich dir in allem Gesagten zustimmen, jedoch ist das praktisch meist nicht haltbar und umsetzbar, denn das alles setzt auch eine gegenseitige Bereitschaft zu einer entsprechenden Kommunikation voraus.

Hier, im weitestgehend anonymen Internet, verhält sich die Sachlage jedoch anders.
Und für Künstler gelten sowieso andere Regeln.

Zitat:
Das mit der Kritk ist so eine Sache. Natürlich: jeder, der etwas produziert hat, ist zunächst einmal verliebt in sein "Baby" - manchmal steckt ja auch wirklich eine Menge persönliches Herzblut drin, und das macht nun mal auch verletzbar....
Dies ist nach meinem Dafürhalten eine absolut unprofessinelle Einstellung.
Mit dem ersten Teil kann ich noch konform gehen, jedoch sollte ein Künstler den Abstand zu seinen Werken bewahren, so daß ihm eine Kritik, wie auch immer sie geartet sein mag, keine Verletzung zufügen kann.
Wir reden hier lediglich über ein Kunstwerk, im übertragenen Sinne ein künstlich geschaffenes Werk, also nicht über menschliche Eigenschaften.
Wenn also etwas "angegriffen" wird, ist das nicht die Person, sondern lediglich ihr Produkt.
Wenn ein Künstler dies verwechselt, hat er im Prinzip schon verloren.

Zitat:
Nun kommt aber was dazu, das man "Kommunikationtechnik" nennt.
Dafür gibts (laut NLP = Neuro Linguistische
Programmieren) eine einfache Regel:

Du musst zuerst die Beziehung haben, dann kannst du auf der Sachebene was draufstellen.
Mal abgesehen davon, daß "NLP" lediglich eine Pseudowissenschaft* (s.u.) darstellt, halte ich die Aussage im letzten Satz nicht für richtig.
Es bedarf keiner (sozialen) Beziehung, um über sachliche Dinge zu kommunizieren.
Eine Beziehung ist nur dann notwendig, wenn es darum geht, daß zwei oder mehrere Indivduen (Gruppen) ihr Denken, Handeln oder Fühlen gegenseitig aufeinander "beziehen".
Auf keinen Fall darf die Bezugsebene mit der Sach- oder Inhaltsebene verwechselt werden, weil in letzterer lediglich objektiv überprüfbare Tatsachen rationalen Inhalts vermittelt werden sollen!

Zitat:
Du musst zuerst menschlich in Kontakt zu einer bestimmten Person getreten sein (und unter Kontakt meine ich wohlwollend - verstehendes sich Einlassen auf diesen anderen), dann kannst du inhaltlich-formal deine Botschaften rüberbringen.
Wer gleich mal die Rasierklinge ausfährt ohne diesen freundlichen "Rapport" herzustellen, der handelt, kommunikationstechnisch betrachtet grob fahrlässig.
Es ist in einem (auf eine Sache spezialisierten) Internetforum kaum möglich, in menschlichen Kontakt zu einer bestimmten Person zu treten, das ist auch nicht (hauptsächlich) der Sinn und Zweck einer solchen Plattform.
Wie soll man sich verstehend auf einen anderen einlassen, den man persönlich gar nicht kennt, was meistens der Fall ist?
Es geht doch in erster Linie, wie schon oben erwähnt, um die Sachebene. Hier sind es vordergründig Texte, deren sachliche und formale Richtigkeit festzustellen oder zu besprechen sind.
Hierbei erscheinen persönliche Beziehungen sogar eher hinderlich, denn der Kritiker wird oftmals durch eine solche beeinflusst und möchte diese vielleicht nicht aufs Spiel setzen, was der Sachlichkeit aber nicht unbedingt dienlich ist.

Ein freundlicher Rapport ist zwar nicht unmöglich, doch es läuft in einem Diskussionsforum anders als im realen Leben ab, weil hier nur geschriebene Worte ohne Betonung und Untermalung der sonst üblichen Gestik und Mimik zu Grunde gelegt werden können.
Es fehlt also am direkten persönlichen Kontakt, so daß die soziale Interaktion unvollkommen bleiben muss.
"Nach Max Weber ist soziales Handeln seinem von den Handelnden gemeinten Sinn nach immer auf das Verhalten Anderer bezogen. Von sozialer Interaktion kann man insofern sprechen, als Handeln in einer sozialen Beziehung erfolgt, d.h. ein fortlaufendes aufeinander gegenseitig eingestelltes und dadurch orientiertes Sichverhalten mehrerer ist. Die soziale Interaktion wird durch den individuellen Sozialisationsprozess sowie die individuell unterschiedliche selektive Wahrnehmung bestimmt." (Wikipedia)

Und genau da liegt auch der Knackpunkt, da geschriebene Worte (s.o.) lediglich rein abstrakte Begriffe bleiben, die der persönlichen Interpretation des Lesers unterliegen, was, wie du schon erwähntest, oftmals zu Missverständnissen führen kann.
Man sollte aber auch in Betracht ziehen, daß "Reibungen" und Auseinandersetzungen durchaus erwünscht sind, weil eine Kommunikation auf dieser Basis auch zu einer Weiterentwicklung führen kann, vor allem was die rhetorischen Fähigkeiten angeht.

Zitat:
Und dann kommt noch eine weitere Schwierigkeit dazu:
Jeder von uns hat bestimmte "Wehpunkte " aus seiner Lebensgeschichte.
Die will er natürlich nicht weiter aufgekratzt bekommen.
Da aber niemand wissen kann, was wem wo weh tut, passieren auch hier Missgeschicke, nach dem Motto "Shit happens".
Wie du ganz richtig ausführst, kann niemand wissen, was wem wo weh tut, worüber sich viele aber nicht bewusst sind und daher ziemlich betroffen reagieren, wenn dann (aus dem genannten Grund eben unabsichtlich) Salz in vorhandene Wunden gestreut wird, was dem Gesprächspartner dann gerne und leicht als persönlicher Angriff ausgelegt wird.

Zitat:
Und was dann noch dazu kommt, sind sogenannte Neurotizismen: aufgestaute Aggressionen, die irgendwo nach einem Ventil zum Dampf ablassen suchen. Unverarbeitete, nicht ins Bewusstsein integrierte Grundemotionen wie Angst, Hass , Neid,....
Auf dieses Persönlichkeitsmerkmal (Neurotizismus) kann in einem Diskussionsforum schlechterdings Rücksicht genommen werden.
Eine solche emotionale Labilität, die oft mit häufiger Angst, Nervosität, Anspannung, Trauer, Unsicherheit und Verlegenheit einhergeht, kann hier nicht behandelt und berücksichtigt werden, dafür bleibt dieses Medium viel zu unpersönlich.
Das sind Schwierigkeiten, die ins reale Leben gehören.
Sicherlich sind dies beeinflussende Faktoren im Verhalten eines Users, jedoch bedarf es bei der Beurteilung dieser schon fundierter psychologischer Kenntnisse und auch eines persönlichen Kontakts.
Hier im Internet begegnen wir meist selbstgeschaffenen Profilen, die oftmals mit der Realität nicht das Geringste zu tun haben.
Wer Angst, Hass und Neid einfließen lässt, wird wohl oder übel mit den daraus folgenden Konsequenzen "leben" müssen.
Es ist oft zu beobachten, daß sich das Verhalten "bestimmter" User wie ein roter Faden durch diverse Foren zieht. Z. B.: Schreibst du mir eine negative Kritik, so werde ich mich revanchieren, indem ich dir eine ebensolche verpasse, um deine Glaubwürdigkeit als Kritiker, gemessen an deinen eigenen Fähigkeiten und deinem Wissen, in Frage zu stellen.
Das halte ich, und ich möchte betonen, daß dies lediglich meine ganz persönliche Meinung darstellt, für eine der niedrigsten und miesesten Motivationen im Verhalten eines Users überhaupt.
Eine weiteres kritikwürdiges Verhalten sehe ich darin, wenn jemand seine eigene Überlegenheit, die durchaus in manchen Fällen vorhanden ist, mit einer vorgetragenen Überheblichkeit zur Schau stellt, indem er allen anderen grundsätzlich zeigt, welche Nieten sie doch eigentlich sind.
Diese Überlegenheit könnte man nämlich durchaus als Hilfestellung anbieten, also positiv einsetzen. Da dies aber nicht geschieht, liegt auch hier oft eine negative Motivation zu Grunde.
Und da gibt es noch einige andere Typen, doch das würde jetzt zu weit führen.
Von all jenen Persönlichkeitsmerkmalen können wir uns nie ganz freisprechen, jedoch liegt es an jedem selbst, inwieweit er sie zum Zuge kommen lässt.
Entsprechend sind manche Reaktionen, die er mit seinem Verhalten hervorruft.

Fazit:

Bessere Menschen? Wollen wir das wirklich?
Würde das auf die Dauer nicht langweilig, wenn wir alle in einer Uniform aufträten und das ganze weite Spektrum wegfiele?
Ich glaube nicht, daß ich mir das wünschen würde, im Gegenteil würde etwas fehlen und auch meine Inspiration würde darunter zu leiden haben.
Denn alle menschlichen Eigenschaften, "ob positiv, ob negativ", haben eines gemeinsam: Man kann wunderschön über sie philosophieren, schreiben, streiten, lachen und ablästern...


Und das habe ich in diesem Falle auch gerne getan...


Liebe Grüße

Falderwald

*NLP

Eine Wissenschaft, die sich auf nur auf Paradigmen stützt, steht auf wackligen Füßen.
Es müssen bestimmte Vorannahmen gegeben sein, die die NLP aber lediglich aus anderen Wissenschaften extrahiert und sozusagen zu einer Ideologie zusammenfügt.
Daher ist sie mehr als eine Weltanschauung zu betrachten, denn als eine seriöse Wissenschaft.
Womit ich aber keine Wertung vornehmen möchte, sondern nur die Tatsache erwähnen will, daß die NLP bislang noch keine wissenschaftlich überzeugenden und nachprüfbaren, empirischen Ergebnisse erzielen konnte, also als Wissenschaft rein a priori bleibt.
(Ich könnte die meisten der zwölf wichtigsten Vorannahmen / Paradigmen der NLP locker widerlegen, so daß kaum noch etwas davon übrig bliebe. Das würde jedoch den hiesigen Rahmen sprengen. Wenn du magst, können wir aber gerne einen seperaten Diskussions-Faden darüber eröffnen.)


Mahlzeit Stimme der Zeit,

ich habe auch deine Einlassungen gelesen, werde aber später darauf zurückkommen...

LG
Falderwald
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Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine)



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