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Alt 18.12.2011, 09:20   #3
Stimme der Zeit
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Hallo, Sanssouci,

ich kann der Aussage deines Gedichts und auch Chavalis Kommentar nur zustimmen. Im langen und kalten Winter 2010/11 erfroren in Deutschland 15 obdachlose Menschen. Seit im Winter 1996/97 25 Menschen in der Kälte starben, waren es nicht mehr so viele, die, wohl weniger den Witterungsverhältnissen als den gesellschaftlichen Verhältnissen zum Opfer fielen.

Strophe 1 stimmt bereits sehr nachdenklich, und Strophe 2 wird dann konkret. Wenn diese Menschen auch reden oder klagen - wer hört denn schon zu? Sie haben keine "Stimmen", die zählen. Daher zählen sie selbst auch nicht.

Was "Worte" vs. "Laute" betrifft, bin ich daher anderer Meinung als Chavali, deren Vorschläge ich ansonsten gut finde. Ich denke nur, dass der Begriff "Laute" aus den von mir oben beschriebenen Gründen erhalten bleiben sollte. Er beeinhaltet sowohl das "Nichtverstehen", als auch die "Unverständlichkeit" und auch die Assoziation mit vor Kälte starren Lippen, die eben keine Worte mehr, sondern nur noch "Laute" hervorbringen können.

In was für einer Gesellschaft leben wir, wenn es "Appelle" seitens der "Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe" an Kirchen, an die Verkehrsbetriebe, an die Kommunen und ganz allgemein an die Öffentlichkeit geben muss? Diejenigen, die "zahlen können und daher zählen" müssen vor der "Unnannehmlichkeit" des auch nur entferntesten Kontakts mit Obdachlosen "bewahrt" werden. Daher bleiben öffentliche Gebäude, U- und S-Bahnstationen sowie - und das halte ich persönlich für den "Gipfel"! - Kirchen diesen Menschen verschlossen. Amen! Ach ja, und frohe Weihnachten!

Das sind gesellschaftliche Missstände, die nicht nur an Weihnachten "beachtet" werden sollten. Auch die Tatsache, dass plötzlich zu dieser Zeit ein "kollektiver Anfall schlechten Gewissens" erfolgt, spricht Bände. Wobei dieser "Anfall" allerdings auch nur einen Teil der Bevölkerung "befällt". Im warmen Kaufhaus Weihnachtsgeschenke einkaufen, das ist doch viel wichtiger!

Leider hat es sich erwiesen: Wer "außerhalb" der Weihnachtszeit, in der ganz abrupt viele "Obdachhabende" so etwas wie ein "kurzfristiges Pseudo-Gewissen" bei sich entdecken, an die Bevölkerung appelliert, befindet sich in der Position "der Stimme des Rufers in der Wüste". Aber an Weihnachten machen ein paar Spenden und das vermehrte "Überflüssiges-Kleingeld-Loswerden" an Bettler natürlich alles wieder wett.

Formal akzeptiere ich hier, dass das Gedicht weder ein einheitliches Versmaß noch Endreime besitzt - es ist inhaltlich passend.

Ich stimme allerdings Chavali bezüglich "des" anstatt "eines" für die erste Strophe zu und auch ihrem Vorschlag für den letzten Vers im Gedicht: Tötende Nacht. Die Conclusio kann und sollte in diesem Fall ruhig "härter" ausfallen - denn die Wahrheit ist es auch.

Ich habe das Gedicht sehr gerne gelesen, die Thematik ist es wert. Sie ist immer wichtig!

Liebe Grüße

Stimme

P.S.: Sagt eine Frau, die in einem Sozialunternehmen arbeitet, die aufgrund einer früheren längeren Krankheit selbst weiß, wie man als Hartz-IV-Empfänger lebt und die ständig mit gesellschaftlichen Missständen in Berührung kommt.
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