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Alt 13.10.2014, 20:21   #15
Falderwald
Lyrische Emotion
 
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Moin Hans,

die Erfahrungen, die du gesammelt hast und noch sammeln wirst, sind das wertvollste Gut des Autors, da geht kein Weg daran vorbei.
Und ich denke, du hast den Weg des Mitgefühls und Anteilnahme eines "Sterbebegleiters" hier gut beschrieben.

Das Thema Sterben ist für viele Menschen ein Tabu und das ist ihr gutes Recht, denn es scheint, wie du schon schriebst, für die meisten Sterbenden eine private Angelegenheit zu sein.

Ich habe allerdings auf der zweiten Bedeutungsebene dieser Geschichte den Eindruck, dass sie bewusst provozieren will, was aber jetzt bitte nicht als Vorwurf zu verstehen ist, denn dieses Mittel nutze ich oft selbst für meine Texte.

Die Eingangsfrage direkt im Titel lautet: "Gibt es einen Gott?"
Diese Frage ist zunächst einmal für Befürworter wie für Gegner interessant, denn es ist lediglich eine objektive Frage.
Wir hätten jetzt mehrere gangbare Möglichkeiten, wie der Text mit dieser Frage umgehen könnte.
Der Inhalt könnte eindeutig Stellung beziehen und mit ja oder nein antworten, er könnte sich rausmanövrieren und die Möglichkeit in Betracht ziehen, oder er lässt die Frage einfach offen und den Leser selbst entscheiden.

Mit dem letzten Satz jedoch ist die Sache entschieden und die Frage mit "ja" beantwortet. Ab diesem Zeitpunkt wird eine solche Geschichte polarisieren und, bei Vorhandensein, Befürworter und Gegner dieser Aussage auf den Plan rufen.

Nun habe ich dich bisher als relativ rationalen Menschen "kennen gelernt" und ich konnte und kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass diese Geschichte die persönliche Weltanschauung ihres Autors widerspiegelt.

Und so habe ich eben eine feine, geistreiche Verspottung durch die ironisierende Nachahmung des Priesters und die übertriebene Darstellung des Wunders mit dem grünblauen Licht sowie der plötzlichen Lenkung der Worte des Protagonisten gesehen, die in der Schlussfolgerung für ihn enden, dass es "ihn" doch gibt.

Letztendlich entlarvt diese Darstellung diesen Glauben, als das, was er ist, nämlich ein Wunderglaube, der das Eingreifen und Wirken höherer Mächte benötigt.

Wenn eine Geschichte von einem mächtigen Alien handelt, dass auf die Erde kommt, unverwundbar ist und mit seinem Raumschiff die tollsten Dinge vollbringen kann, das technisch so ausgerüstet ist, dass keine menschliche Waffe etwas dagegen ausrichten kann und dieser Außerirdische hier macht, was er will, dann sprechen wir von Science Fiction.

Wenn aber von Wundern, Göttern, auch die, die er nicht neben sich haben
will, Teufel, Engel und Dämonen, Wiederauferstehung, heiliger Geist und einem himmlischen Reich die Rede ist, dann wird dies als Religion bezeichnet.


Ich weiß nicht, ob ich mit meiner Einschätzung richtig liege. Sage es mir...


Liebe Grüße

Falderwald


Lieber Thomas,

dein persönliches Verständnis von "Fundamentalismus" ist irrelevant, diese Vokabel hat eine ganz bestimmte Bedeutung im allgemeinen Sprachgebrauch.

Fundamentalismus bedeutet Ablehnung der Moderne mit ihrer Globalisierung und Kommerzialisierung wichtiger Lebensbereiche, ihrem Werterelativismus, Individualismus und Rationalismus.
Weiterhin ist er eine Reaktion auf eine Aufweichung von Überzeugungen, die am Anfang eines Glaubens oder einer Ideologie standen.
Eine Anpassung an aktuelle Lebensumstände ist dem Fundamentalismus nicht möglich.

Du machst es dir also zu einfach und versuchst, mich mit einem Schlagwort in die Ecke zu stellen.

Dir gehen die rationalen Argumente aus, weil du lediglich aus einem vagen Gefühl heraus argumentieren kannst, was keiner Logik standhalten würde.
So bezeichnest du mein Verhalten als zwanghafte Bekehrungswut.

Ich bitte dich. Zu was will ich denn bekehren?
Bin ich denn derjenige, der an ein irrationales, unbeweisbares Dogma glaubt?

Wie steht es denn mit deiner Akzeptanz Andersdenkender?

Mich darfst du ruhig als Kasperle verspotten, damit kann ich leben.

Was aber machst du, wenn du einem wirklichen Fundamentalisten gegenüberstehst, der dir sagt, dass er dich Ungläubigen jetzt töten wird?
Willst du ihm dann sagen, dass du keineswegs ungläubig bist und diesem Anhänger einer Wüstenreligion den Gott einer anderen Wüstenreligion entgegenhalten?
Was meinst du, wie lange der mit dir diskutieren wird?

Die Angst vor einer Veränderung beim Hinterfragen der eigenen Weltanschauung kann ich gut nachvollziehen.
Aber die ersten Zweifel sind schon geweckt, denn wie kommt es sonst, dass sich so viele Leute von der Institution Kirche abwenden?

Wie viele von diesen "Abtrünnigen" glauben an ihren eigenen, persönlichen Gott? Ich frage mich, wer hat ihnen denn gesagt, was der richtige Glaube ist?
Wie sind sie darauf gekommen, dass zwar das liebe Herrgöttle existiere, aber nicht so, wie die Kirche das propagiert?

Wofür braucht es überhaupt eine höhere Macht, die alles lenkt und erschaffen hat?

Wenn wir nicht endlich einsehen, dass wir uns auf keine höhere Macht verlassen können, dann werden wir niemals Frieden auf Erden haben, denn es gibt nur eines, was die Menschen davon abhalten könnte, sich wegen verschiedener Ideologien die Köpfe einzuschlagen.

Und das ist der Glaube an die Menschheit selbst.

Mit solch primitiven, steinzeitlichen Vorstellungen von Wundern und Göttern aber, wird dieses Reifestadium niemals erreicht werden können.
Die Religionen selbst sind nämlich die Apokalypse und die Menschheit wird an den Göttern, die sie sich erschaffen hat und nicht umgekehrt, eines Tages zu Grunde gehen.

Und dafür braucht man kein Prophet zu sein, man schaue einfach in die täglichen Medien und die Geschichtsbücher.

Und im Kleinen, im eigenen Kopf fängt es an.

Glaube ist praktischer Egoismus auf höchster Stufe, denn jeder Gläubige verspricht sich seinen persönlichen Vorteil davon, wie auch immer.

Vielleicht solltest du darüber mal nachdenken.


Liebe Grüße

Falderwald



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Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine)



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