Thema: Sommer
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Alt 05.08.2017, 19:54   #7
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Hi Chavali!

Das Problem mit dem "Traum" ist, dass dies in den drei Zeilen vor diesem Konjunktiv mit keiner Silbe erwähnt und platziert wird. Im Gegenteil, der aktive Aufforderungscharakter der Zeilen lässt ein unmittelbares Geschehen vermuten.

Daher wirkt dieser plötzliche Konjunktiv völlig deplatziert und verwirrt eher. In deinem Kopf mag das mit dem Traum eine selbstverständliche Tatsache sein, aber weder in Titel noch Vortext gibst du dem Leser darauf einen Hinweis.

Also solltest du entweder den Titel oder den Beginn dahingehend ändern, dass der Leser erkennen kann, dass hier von einer bloßen Möglichkeit gesprochen wird, einem Tagtraum, einer Vorstellung - oder du verabschiedest dich ganz davon und lässt einfach den quasi in der Luft hängenden Konjunktiv in Z4 weg - was beträchtlich einfacher wäre und dem Text in keiner Weise schadete.


Ich extemporiere:

Ich habe nie verstanden, warum manche Autoren so an gewissen/bestimmten Gedankenbildern kleben und sie um jeden Preis beibehalten wollen, obwohl sie dem Werk sprachlich, klanglich oder inhaltlich oft nicht zuträglich sind - Hauptsache, sie können sich dabei als "authentisch" verstehen!
In hundert Jahren wird es völlig egal sein, was ein Autor sich WIRKLICH bei einem Gedicht dachte - nur das Gedicht hat überlebt und bestimmt dann die Realität - oder das, was die Nachfahren und späteren Leser eben dafür halten möchten.
Allerdings: Ob ein Gedicht überhaupt über hundert Jahre hinweg weitergetragen wird, hängt ganz und einzig von seiner lyrischen Qualität ab (vorausgesetzt, es hat das unwahrscheinliche Glück, von den richtigen Leuten zum richtigen Zeitpunkt gelesen zu werden) und nicht von seiner wie auch immer beim Schreiben vor 100 Jahren empfundenen Authentizität!
Der Autor hat also die Wahl zwischen einem "authentischen" Werk (was immer er darunter zu verstehen glaubt) und einem "korrigierten, angepassten", sprachlich - phonetisch wie semantisch - durchgängig elegant und gelungen, das seiner ursprünglichen Intention vielleicht nicht mehr exakt einhundertprozentig entspricht, lyrisch aber um einiges höher steht.
Nun - ich weiß, wofür ICH mich entscheiden würde - und das seit jeher auch so getan habe. Genau deshalb sind meine Gedichte auch so wie sie sind. Lyrik ist für mich in erster Linie sprachliche Schönheit (die jeder auslegen mag, wie er lustig ist) und erst in zweiter Linie Sprachrohr der Zuständlichkeiten eines Autors und dessen akribisch verfolgten Vorstellungen von seiner Aussage.
Ich lasse mich immer durch meine Texte "treiben", überlasse es einer Mischung von unterbewusster Inspiration und bewusster Sprachhabung, wohin die Zeilen mich führen mögen. Oft bin ich selbst vom Ergebnis überrascht!
Und meist sind solche Texte dann dennoch emotionaler und authentischer als das "geplanteste" Gedicht, das immer genau das sein musste, was der Autor sich zuvor vorgestellt hatte - meist auf Kosten von sprachlicher Eleganz, Klangbild und Formulierkunst. Dichten ist zu einem nicht geringen Teil auch die Fähigkeit zur Anpassung und bewussten Zurücknahme oder Weiterentwicklung des eigenen Ausgangsgedankens zu einem Gedicht - oft war dieser nämlich bloß der Wegweiser zu einem im eigenen Selbst noch viel verborgeneren Ziel. Es geht immer um das Gesamtkunstwerk "Gedicht":
Kein Maler, der eine perfekte Szene malt, würde darauf bestehen, dass der Schal des Mannes rot sein muss, nur weil es in Wirklichkeit bei der Vorlage so war! Wenn es die Harmonie der Szene stört oder vergewaltigt, dann würde er den Schal sofort schwarz oder grün malen, anstatt sich um der Realität willen mit einem "nur fast" perfekten Bild zu begnügen.


Okay, das wollte wohl mal raus und soll keineswegs ausschließlich und im Besonderen hier unterstellend auf dich bezogen sein. Wenn es dich stört, stelle ich es anderswo hin.

LG, eKy
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen.
Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen!
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Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.

Geändert von Erich Kykal (05.08.2017 um 20:39 Uhr)
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