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Alt 02.02.2013, 08:51   #10
Thomas
Erfahrener Eiland-Dichter
 
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Hallo Cebrail,

es freut mich sehr, dass dich meine These (genau als das empfinde ich es auch) "dazu veranlasst mal ein wenig über Lyrik nachzudenken." Deine Gedanken regen wiederum mich und andere an.

Mit dem Wiki-Zitat bis du zu Recht nicht zufrieden. Ich gehe darauf ein, weil ich glaube, dass ein allgemeineres Problem deutlich wird. Wiki sagt: "Als Lyrik (griechisch*λυρική (ποίησις) – die zum Spiel der Lyra gehörende Dichtung) bezeichnet man die Dichtung in Versform, welche die dritte literarische Gattung neben der Epik und der Dramatik darstellt."

Das ist (obwohl es genauso lang ist wie meine These) so ungenau, dass es eigentlich falsch ist.

1) Es stimmt, dass der Begriff Lyrik auf zur Leider gesprochenen Text zurückgeht, und meiner Meinung nach ist das bis heute ein ganz wesentliches "Erbe" der Lyrik, welches ich versuche durch die Vorstellung des "singbaren Charakters" in den Griff zu bekommen. Die Tatsache allein, dass Lyrik ursprünglich zur Lyra gesprochen wurde, sagt in unserer heutigen Augenwelt wenig aus.

2) Lyrik als Dichtung in Versform ist zu formal und so einschränkend, dass es falsch ist. Ich versuche die besondere Verwendung von Sprachelementen (die sich von der Verwendung im Epos und Drama unterscheiden lässt) als wesentliches Kriterium zu verwenden.

3) Die Dreiteilung der Poesie in Epik, Dramatik, und Lyrik ist relativ neuen Datums (Sehr schön erkennbar durch Goethes Definition der Ballade als Ur-Ei der Poesie) und meiner Meinung nach gut. Durch diese Definition ist jedoch die Lyrik, die zuvor eine spezielle Art der Dichtung war (Neben hymnischer, epigrammatischer Dichtung etc.), zu einem Oberbegriff für alle diese ursprünglich gleichberechtig neben ihr stehenden Dichtungen geworden. Für Goethe und die damalige Zeit (Dramen wurden in fünfhebigen Jamben geschrieben!) war unproblematisch, zumal Goethes Definition eigentlich von den verschiedenen Relationen des Dichters und des Publikums ausgeht (mehr dazu in meinem "LyrikChat"), aber mit der Romantik und er immer "introvertierteren" und "experimentierfreudigen" Dichtung, wurde der Begriff sehr weit ausgedehnt.

Deshalb ist es meiner Meinung nach wichtig, sich darüber Gedanken zu machen, nicht um Schubladen auszumessen, sondern um den eigenen Blick zu schärfen und das Wesentliche zu treffen, damit wirklich Neues erkannt werden kann. Ganz wesentlich scheint mir das, was ich mit dem Begriff "komponieren" zu erfassen suche. Achtung! Implizit behaupte ich damit, dass es so etwas wie kohärente Gesamtheit des Denkens und Fühlens, dass es einen (zumindest internen) Kosmos gibt, und dass das Schöpferische daraus entspringt.

Der Prozess, wie sich Neues dann umsetzt ist noch komplexer, wie dein Graffiti-Beispiel zeigt. Das ist meiner Meinung nach ein gutes Beispiel, aber ich möchte darauf jetzt nicht eingehen, weil es mich zu weiteren Pfade verleitet, die von der Lyrik wegführen.

Vielen Dank für deine Gedanken und die Anregung

Liebe Grüße
Thomas
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© Ralf Schauerhammer

Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualität. Diese seine Individualität so sehr als möglich zu veredeln, ist sein erstes und wichtigstes Geschäft. Friedrich Schiller
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