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Alt 18.01.2012, 08:28   #3
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asphaltwaldwesen
 
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hexameter! ah ja, liebe stimme...

da bin ich aus latein-schulzeiten dermaßen "traumatisiert", dass als erstes immer das bild meine latein-lehrers zur melodie auftaucht, wie er uns - in der vierten (in deutschland die achte?) heillos zu früh und auf unvorbereitetem "boden" - damit überforderte und wir hilflos kichernd wegen seines sing-sangs und gefuchtels am liebsten unter den bänken verschwunden wären...(der fand das nämlich nicht so witzig wie wir).

"aurea prima satast..., daDAdadaDada" usw. usf.
so brüllte er das. dazu stocherte er noch mit dem zeigefinger in der luft, um uns die betonung irgendwie nahezubringen. er wirkte dabei reichlich verzweifelt - was die sache für uns nur schlimmer machte. (hätte er uns den sinn der betonung oder deren aufbau erklärt, tja... aber da meinte er wohl, uns zu überfordern. oder so)

inzwischen geht es bei mir einigermaßen. ganz weg kriege ich das allerdings nie. gut, dass dein text ja doch sehr schmunzellastig ist - da passte mein breites grinsen dann doch.

Zitat:
....wer möchte den Pathos noch lesen?
Unzeitgemäße Worte, da wäre ein Lexikon nötig!
daran bin ich besonders hängengeblieben, denn da steckt die antwort drin. so banal wie gewichtig zugleich. unzeitgemäße worte - noch dazu nicht mehr zum heutigen "tempo" passend. wir sind doch dermaßen beschleunigt, dass selbst bewusste entschleunigung nur noch in kleinen zeitfenstern stattfinden darf, ohne den anschluss zu verlieren. nur wenige können sich den luxus gönnen, zu lesen UND dem noch auf den grund zu gehen, was dahinter steckt. zu anstrengend ist das leben selbst, zu sehr wird uns effektivität an allen ecken und enden als das einzig wahre suggeriert. meist muss erst ein burn-out her oder eine depression (schon bei schulkindern!) her, um zum entschleunigen zu zwingen. und dann unter dem stempel des "kaputt-seins". so weit ist unsere gesellschaft gekommen, wenn mans genau nimmt.

und dann besitzen diese dichter die frechheit und schreiben textlein, die nichtmal ganze bücher sind, behaupten auch noch, sie hätten daran ewig herumgefeilt und es wäre hochqualitativ. wo denn, bitte, sieht man das? bei viel arbeit muss doch auch viel ergebnis - mengenmessbar - abfallen, oder? ansonsten kann das doch nix.

ich denke, da liegt der schlüssel für das unverständnis und die annäherungsschwierigkeiten. wer oper oder eine symphonie hören will, geht ins konzerthaus. oder er tut es daheim in einer stillen stunde. ich behaupte - auch das tun nicht mehr viele. lyrik hingegen zu lesen - das klappt auch in der u-bahn. ist fast dasselbe wie die ohrstöpsel, die bei uns inzwischen menschen aller altersklassen auf der straße tragen. abtauchen mitten im alltag - ich bin da immer skeptisch, denn ich tu immer gerne das, was ich grade tue und vermische das nur ungern, weil dann m.E. keins von beidem wirklich bewusst getan wird.

auch da schleicht sich dieses konsumier-verhalten ein. egal, ob da jetzt klassik über die ohrstöpsel kommt oder was "leichtes". nur lyrik erlaubt das nicht. liest du lyrik - also jetzt ernsthafte mit substanz auch zwischen den zeilen und im handwerk - so wie du dir das leben rundum reinziehst, streifst du nicht mal ansatzweise das wesentliche - und hast danach logischerweise ein unbefriedigtes, leeres gefühl. fühlt sich nach betrug an, nach nepp. das solls jetzt gewesen sein? ok, was gelesen, grad mal ein paar zeilen lang, schöne worte dazwischen, aber irgendwie auf den ersten blick nicht grad sinnvoll... und bei klassischer lyrik fängt mancher dann gar nicht erst an: das sieht schon aufwändig aus, ist lang, viel, kommt geschraubt daher - der reinste hirnwindungsverknoter! nee, dann doch lieber was von starbucks zum mitnehmen.

kein wunder also, wenn auch die massen-lyrik als "produkt" da entsteht und sich den umständen anpasst. ich denke, diese lyrik-to-go, die einen großen anteil in internet-foren ausmacht, ist ein zeichen der heutigen zeit. und wird später auch mal in ein paar hundert jahren als kunstgeschichtliches phänomen genau DAS abbilden. die gehaltvolle lyrik daneben wird deshalb nicht untergehen - so wie in der bildnerischen kunst zu beginn des 20. jahrhunderts, als die fotografie die auftragsmalerei ablöste und somit die maler ihrer eigentlichen bestimmung "beraubte", passiert jetzt mit der lyrik dasselbe. es bilden sich viele, viele eigene strömungen, stilrichtungen, ansichten... nebeneinander und kaum einzuordnen. zeichen der zeit.

auch das schreiben von lyrik wird zum teil ein to-go-dingens. weils gut aussieht, auch ein publikum findet und einen selbst für ein paar minütchen aus dem alltag erhebt. eigentlich nichts schlimmes. (daher regt mich diese art von lyrik auch nicht auf. ich muss mir die ja nicht nehmen.)

ich hab jedenfalls deinen text gerne und aufmerksam gelesen. wie du siehst, hat er einiges angestoßen, das ich hier (zum frühstücks-tee gemütlich an meinem kreativ-platz) genüsslich zeit habe, niederzuschreiben. auch, wenn ich für groß- und kleinschreibung zu faul bin... lol.


liebe grüße,

fee
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"Gedichte sind Geschenke an die Aufmerksamen" Paul Celan

Geändert von fee (18.01.2012 um 08:35 Uhr)
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