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Alt 25.04.2011, 01:08   #3
Falderwald
Lyrische Emotion
 
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Hallo Thomas,

wir mögen die Klassiker und anregende Kritik?

Dann schreiten wir mal zur Tat.

Die Alten beherrschten nachweislich ihr Handwerk, deshalb werfen wir also zunächst einmal den kritischen Blick auf das äußere Gewand, denn wenn das nicht richtig sitzt, kann es beim Tanze zum Gesang auch schon einmal den ein oder anderen Stolperer geben.

Der Text ist durchgehend im Jambus gehalten, außer... Aber dazu kommen wir später.
Eine einheitliche Verslänge ist nicht gegeben, muss auch nicht, es stört in diesem Falle auch nicht, ebenso wenig wie das uneinheitliche Reimschema, da das Gedicht schon von der ganzen äußeren Struktur in mehrere Teile untergliedert ist.
Die Reime sind durchweg in Ordnung, obwohl der typische Reimeffekt sich in den letzten beiden Strophen durch die viermalige Verwendung der Endsilbe "o(h)r" und der sehr verspäteten und auch gedoppelten Silbe "klang" ein wenig abschwächt und zudem dieser Viererreim schon in der ersten Strophe, ebenfalls mit "o" auftritt.
Was noch auffällt, sind die Zeilenanfänge. Im ersten Teil gibt es Groß- und Kleinschrift, der zweite Teil hingegen beginnt durchgehend mit Großbuchstaben, was wohl mit dem Titel zusammenhängen könnte, dazu später.
Da ich viel Fantasie besitze, erkenne ich im zweiten Teil des Gedichtes sogar die verdrehte Struktur eines umgedrehten Sonetts mit verkürzten Zeilen, aber das ist jetzt meine Interpretation und ich weiß nicht, ob das so gewollt war, es wäre aber immerhin eine Möglichkeit. (Und im ersten Teil ein halbes Sonett, aber das geht jetzt zu weit )

Jetzt kommen wir zu dem einzigen, schon oben erwähnten, Stolperer, der sich in Zeile 4 von Teil I befindet.
Ich erkenne, daß diese Zeile mit Absicht, in der Mitte der Strophe stehend, die kürzeste sein soll, doch der böse Stolperer ist an dieser Stelle durch den verwendeten Trochäus, der mit der betonten Silbe "In" anhebt, nicht zu vermeiden, zumal die vorhergehende Zeile mit einer männlichen Kadenz beschließt. Das hat einen sogenannten Hebungsprall zur Folge, der hier aber wirklich hinderlich ist und auch von der Syntax her nicht beabsichtigt sein kann, da es sich ja um einen zusammenhängenden Satz handelt.

Ich hätte da einen Vorschlag zu unterbreiten, bevor wir uns auf das Innenleben stürzen:

Ein langer Schlaf in sanftem Abendrot,
du merkst der Sonne Sinken kaum,
auf glatter Fläche treibt dein Boot
im grenzenlosen dunklen Raum,
gewiegt von einem Zukunftstraum,
befreit von allem, was dich einst bedroht.* (s.u.)
Ein langer Schlaf nur ist der Tod.

Wir haben dort jetzt zwar wieder 8 Silben, jedoch ist es so viel angenehmer zu lesen. Jetzt gleiten die Zeilen, wie es sich für einen romantischen Text gehört. (Die Stimmung des Gedichtes erinnert ein wenig an Novalis.)

"In unendlich weiten Raum" ist nicht nur metrisch an dieser Stelle fehlplatziert, sondern hier stimmt auch die logische Syntax nicht.
Wenn der Raum unendlich ist, dann ist er auch weit, das braucht nicht noch verstärkt werden. Unendlich ist aber synonym zu grenzenlos und dunkel könnte der Raum hier sein, da ja von der untergehenden Sonne, einem langen Schlaf und gar vom Tode die Rede ist.
Wenn aber der dunkle Raum nicht erwünscht ist, könnte ich noch den "zeitenlosen weiten Raum" anbieten, der eine gangbare Alternative darstellt.
Was aber nicht geht, ist in den Raum treiben.
Ich weiß, daß sich "in weiten Raum treiben" sehr poetisch anhört, es ist aber faktisch falsch, da ein Ding zwar in den Weltraum, nicht aber in den Raum an sich treiben kann, denn es befindet sich ja schon in diesem Raum. Ohne Raum gäbe es kein Ding, ohne Ding keinen Raum, beide können sich nicht verlassen.

*Ein wenig problematisch ist auch Zeile 6, weil hier ein Hilfsverb fehlt, was ein wenig störend wirkt. Obwohl die "bedrohlichen Ereignisse" in der Vergangenheit liegen, müssen wir sie also in die Gegenwart holen, ohne den Zeitbezug zu verlieren.

Anregung:

befreit von allem, nichts mehr was dir droht oder befreit von allem, nichts mehr das bedroht oder aber befreit von allem, was dich sonst bedroht (was mir am besten gefällt).

Aber daran kannst du selbst noch ein wenig werkeln.

Ansonsten geht diese Strophe eigentlich in Ordnung und auch die Aussage ist in ein schönes Metaphernbild gekleidet, das zunächst eine angenehme und romantische Stimmung vermittelt, jedoch auch zum Nachdenken anregt.
Es deutet sich an, daß der Inhalt sich hier nicht vordergründig um das romantische Bild, sondern um den Wunschtraum nach einem besseren Leben, als das jetzige, dreht, denn die Befreiung von vorhandenen Bedrohungen wird ja erwähnt.


Wenden wir uns nun dem zweiten Teil des unzeitgemäßen Gedichtes zu.

Hier betritt das Lyrische Ich zum ersten Male in der zweiten Strophe die Bühne, womit die erste in diesem zweiten Teil eigentlich einen Übergang zu Teil I darstellt, wo noch aus der äußeren Perspektive erzählt wird.
Hier hätte ich auch noch ein paar stilistische Anregungen anzubieten, da manche der Phrasen ein wenig pathetisch klingen, obwohl dies in einem romantischen Ostergedicht ja durchaus angebracht sein kann.
Aber du kannst ja mal schauen, was dir gefällt.

Wie herrlich aus dem kalten Tod
Der Nebelnacht und Sorgen
Sich in den jungen Morgen
Die Sonne hebt im Himmelsrot. (oder in tiefem Rot)

(Der Horizont leuchtet vor Sonnenaufgang oftmals tiefrot.)

Als ich sie heute früh gesehen,
Da stieg mein Herz empor
Und übersang der Vögel Chor
Mit tönend hellem Freudenklang:
"Auch du wirst auferstehen!"

So wird das doppelte "sang" und das "und" an dieser Stelle vermieden und es bleibt Spielraum für eigene Änderungsideen.

Ich komme mir als Schwärmer vor
Der wirre Zeilen schreibt; --
Und dennoch bleibt
Der Lobgesang
Mir lang im Ohr.

Lobgesang wäre für ein österliches Gedicht doch durchaus geeignet und würde zudem eine echte Reimalternative zu Klang darstellen.

Im zweiten Teil steht also die Auferstehung und damit das Osterfest im Vordergrund und wäre demnach ja eigentlich doch zeitgemäß, doch könnte der Titel so interpretierbar sein, daß sich in der heutigen Zeit immer mehr Menschen vom christlichen Glauben abwenden und daher ein solcher Text eben doch unzeitgemäß ist.

In diesem Sinne würde ich also sagen: Ziel erreicht und ein ordentliches und romantisches Ostergedicht mit Pathos und Enthusiasmus pünktlich zum Einstand abgeliefert, dem ein ehrliches lyrisches Bemühen zu Grunde lag.

Eine religiöse Diskussion möchte ich an dieser Stelle vermeiden, denn es gilt hier den Inhalt und nicht eine Weltanschauung zu besprechen.

Ich hoffe, ich konnte ein paar anregende Gedanken mit dieser Besprechung hinterlassen und habe dich nicht gleich erschlagen und abgeschreckt.


Gerne gelesen und kommentiert...


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald
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Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine)



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